Beim Krieg in der Ukraine tauchen immer öfter Meldungen über Zivilisten auf, die zu Schaden gekommen sind. Aber was genau unterscheidet Zivilpersonen von bewaffneten Kämpfern?

Welche grundsätzlichen Regeln in Kriegen gelten sollten, erklärt Brigadier in Ruhe Karl Edlinger. Er ist Rechtsberater im Militärkommando Niederösterreich. Davor war Edlinger unter anderem Referent für Militärrecht im Verteidigungsministerium und er ist regelmäßig Gastdozent an Institutionen im In- und Ausland.

Das sagt der Bundesheer Experte:

Welche internationalen Vereinbarungen regeln die Kriegsführung selbst?

Die Rechte und Pflichten von Kriegführenden sind in einer Reihe von internationalen Abkommen festgelegt. Die wichtigsten Abkommen, die für alle Staaten der Welt verbindlich gelten, sind:

  • Die Haager Landkriegsordnung, die insbesondere die Durchführung von Kampfhandlungen und die Regeln im besetzten Gebiet bestimmt.
  • Die vier Genfer Abkommen von 1949, die die Opfer bewaffneter Konflikte schützen: die Verwundeten und Kranken, die Schiffsbrüchigen, die Kriegsgefangenen und die Zivilisten.

Weitere Abkommen, die Mittel und Methoden der Kriegsführung beschränken, gelten für jene Staaten, die diese Abkommen ratifiziert haben. Sie umfassen das Verbot von chemischen und biologischen Waffen, ein Verbot von Anti-Personenminen oder Clustermunition, Abkommen zum Schutz der Umwelt, Abkommen zum Schutz von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten und vieles mehr.

Welche internationalen Vereinbarungen regeln im Krieg den Umgang mit Zivilisten? Wie werden Zivilisten, die in Kampfhandlungen eingreifen, von regulären Truppen unterschieden?

Der Schutz von Zivilisten wird in sämtlichen Abkommen ausdrücklich betont. Zivilisten sind unter allen Umständen zu schützen. Weder die Zivilbevölkerung noch einzelne Personen dürfen das Ziel von Angriffen sein. Die Anwendung oder Androhung von Gewalt mit dem hauptsächlichen Ziel, Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, ist verboten.

Zivilpersonen verlieren jedoch ihren Schutz, wenn sie sich aktiv an Kampfhandlungen beteiligen. Wenn sie dabei gefangengenommen werden, haben sie keinen Anspruch auf Kriegsgefangenenstatus, sondern dürfen strafrechtlich belangt werden.

Dies gilt beispielsweise, wenn sie eine Waffe gegen einen gegnerischen Soldaten richten, wenn sie eigene Streitkräfte bei Kampfhandlungen unterstützen (z.B. Munition in die Feuerstellung transportieren) oder auch wenn sie Minen legen, Barrikaden errichten, Sprengsätze anbringen oder Molotowcocktails auf gegnerische Panzer werfen.

Sie können aber auch zu Schaden kommen, ohne dass sie an Kämpfen teilnehmen. Wenn ein Angreifer erkennt, dass sich Zivilisten in der Nähe von militärischen Zielen aufhalten, muss er den Angriff nicht einstellen. Er darf ihn fortsetzen, wenn der potentielle Schaden für Zivilisten oder zivile Objekte (sogenannter Kollateralschaden) nicht unverhältnismäßig im Vergleich zum militärischen Vorteil des Angriffs ist.

Jeder absichtliche Angriff auf Zivilpersonen, die sich nicht an Kampfhandlungen beteiligen, oder auf zivile Objekte, die nicht für militärische Zwecke verwendet werden, ist aber ein grober Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, also ein Kriegsverbrechen.

Wie werden Verletzungen gegen das Völkerrecht (Kriegsverbrechen) geahndet? Fehlt hier nicht die internationale „Rechtsdurchsetzung“, wie sie national, also innerstaatlich sichergestellt ist?

Jeder Staat hat die Verpflichtung, eigene Staatsbürger und eigene Soldaten, die Kriegsverbrechen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen.

Darüber hinaus kann der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Tribunal für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord einrichten, wie er dies im Fall des ehemaligen Jugoslawien und nach dem Völkermord in Ruanda getan hat. Für Verbrechen im Ukrainekrieg ist dies auszuschließen, da Russland als permanentes Mitglied des Sicherheitsrates die Einrichtung eines Tribunals mit einem Veto verhindern wird.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, der für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zuständig ist, kann ein Verfahren einleiten, wenn ein Verbrechen von einem Staatsangehörigen eines Vertragsstaates oder ein Verbrechen auf dem Staatsgebiet eines Vertragsstaates begangen wurde. Russland und die Ukraine sind keine Vertragsstaaten, die Ukraine hat jedoch die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes zumindest akzeptiert.

Nach dem Weltrechtsprinzip („universal jurisdiction“) kann jedoch bei Verbrechen gegen das Völkerrecht (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen) jeder Staat, der eines solchen Verbrechers habhaft wird, diesen verfolgen und bestrafen.


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