Der Krieg in der Ukraine konzentriert sich zusehends auf die großen Städte des Landes. Sowohl die Bevölkerung als auch die Verteidiger suchen dort vor allem Schutz im Untergrund.

Was dabei zu beachten ist, erklärt unser Fachmann: Oberst Peter Hofer leitet das Institut für Offiziersweiterbildung an der Militärakademie in Wiener Neustadt. Eines seiner Projekte beschäftigt sich mit Einsätzen in unterirdischen Einrichtungen. 

Das sagt der Bundesheer Experte:

Welche besonderen Umstände müssen berücksichtigt werden, wenn unter der Erde gekämpft wird?

Die Einsatzbedingungen in unterirdischen Infrastrukturen gehören zu den schwierigsten überhaupt. Weit verzweigte Anlagen mit vielen Kilometern Länge, eine Vielzahl von Gefahrenfaktoren, absolute Dunkelheit sowie schwierige Umfeldbedingungen. Zusammen mit bewaffneten Gegnern und der Anwesenheit von Zivilpersonen schafft dies ein hochgradig komplexes Einsatzumfeld, das Einsatzkräfte rasch an ihre Leistungsgrenzen bringt. Die Einsatzdauer kann sich dadurch verlängern und die logistischen Anforderungen sind wesentlich höher.

Da es sich um sehr vielfältige Infrastrukturen des Verkehrswesens (Straßentunnel, Eisenbahntunnel, U-Bahnen), der Wasserversorgung (Wasserleitungen, Kanalisation) oder der Energieversorgung (Stromleitungen, Pipelines, Atommülllager, Gaslager) aber auch um militärische Bauten wie Bunker oder um Zivilschutzanlagen handelt, sind Einsatzkräfte mit einer Vielzahl von Gefahren und unterschiedlichster baulicher Ausführung der Anlagen konfrontiert.

Je mehr unterirdische Infrastruktur vorhanden ist, desto größer wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich Kampfhandlungen dorthin verlagern – und je größer die technische Überlegenheit eines Akteurs an der Erdoberfläche ist, umso größer wird auch der Drang seines Gegners, in den Untergrund zu gehen.

Seit vielen Tagen suchen die Einwohner von Kiew Schutz in U-Bahn-Stationen und Kellern. Sind sie dort sicher?

Grundsätzlich bieten U-Bahn-Stationen und Keller – abhängig von der Überdeckung und der Bauqualität – guten Schutz vor Waffenwirkung von oben. Allerdings müssen vorhandene Gefahrenquellen (zum Beispiel feuergefährliche Materialien, Elektrizität oder Wassereinbrüche) stets berücksichtigt werden und auch eine ausreichende Versorgung mit Frischluft ist wichtig.

Wenn sich die Kampfhandlungen unter die Erde verlagern, werden Geschosse, Explosionsdruck und -gase sowie deren Auswirkungen auf die Infrastruktur zu zusätzlichen Gefahrenquellen. Der Schutz bietende Raum kann dadurch sehr schnell zu einem lebensfeindlichen Umfeld werden.

Beim Kampf in Städten nützen die Verteidiger oft unterirdische Einrichtungen zu ihrem Vorteil. Welche Möglichkeiten bieten sich dabei? Warum sind Einsätze unter Tage so herausfordernd?

Wer dieses Einsatzumfeld als Erster für seine Zwecke nutzt, ist dem Gegner zunächst einen Schritt voraus. Der urbane Einsatzraum erstreckt sich über drei untrennbar miteinander verbundene Bewegungsebenen, die sogenannten „Triple S“: Supersurface – Surface – Subsurface). Das Vorgehen unter Tage und ober Tage muss daher aufs Engste aufeinander abgestimmt sein.

Neben einem Schutz vor Waffenwirkung bieten sich unter Tage Möglichkeiten für ein unerkanntes und sehr rasches Verschieben von Kräften. Der Kampf unter der Erde ist allerdings eine besondere Herausforderung: stark beengt und kanalisierend, bei Stromausfall herrscht absolute Dunkelheit und die Luftmassen folgen nur mehr natürlichen Strömungen. Einsturzgefahr, gefährliche Stoffe und Wasser können zusätzliche Gefahrenquellen sein. Die Möglichkeiten zum Beobachten, um sich zu bewegen, Deckung zu suchen und Waffen zum Einsatz zu bringen sind eingeschränkt, Orientierung und Kommunikation sind extrem schwierig.

Einsätze in einem derartigen Umfeld erfordern hochqualifizierte Soldaten, hochentwickelte Ausrüstung und eine effiziente zivil-militärische Zusammenarbeit, die durch aktuelles Expertenwissen unterstützt werden muss. Die Beurteilung der Umfeldbedingungen durch Spezialisten ist für die Einsatzführung unter Tage von immenser Bedeutung.

BUNDESHEER im Internet

UKRAINE: 3 Fragen – 3 Antworten

UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 12: CYBERWAR?

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 11: NEUTRALITÄT?

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 10: WIE LÄUFTS?

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 9: ABC GEFAHR?

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 8: KAMPF UM DIE STÄDTE

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 7: LUFTKRIEG UND DROHNEN

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 6: ATOMKRAFTWERKE UND NUKLEARE BEDROHUNG

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 5: WELCHE WAFFEN?

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 4: WAFFEN FÜR KIEW?

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 3: GIBT ES WIDERSTAND?

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 2: WELCHE FOLGEN HAT DER ANGRIFF?

– UKRAINE: 3 FRAGEN – 3 ANTWORTEN, TEIL 1: WAS IST LOS?