Der russischsprachige Telegram-Kanal „Reverse Side of the Medal“ (RSOTM) ist längst nicht mehr nur eine Informationsquelle über internationale Konflikte. Es werden lokale Nachrichten, Interviews mit Kampfteilnehmern veröffentlicht – der Kanal spezialisiert sich dabei auf Russlands geheimnisvollste Militärformation, die sogenannte Gruppe Wagner“.

Im Gegensatz zu anderen, ähnlichen Telegram-Kanälen ist Reverse Side of the Medal jedoch längst zu einer Art Bewegung mit eigenen Ideen, eigener Kultur geworden. Der Gründer der Söldnergemeinschaft Reverse Side of the Medal verbirgt seine Identität und gibt sich als „Admin“ aus. Es ist bekannt, dass er in der russischen Armee gedient hat, in mehreren Krisenherden aktiv war – unter anderem als Freiwilliger in der Ukraine und in Syrien –  und sich als „Freiberufler“ bezeichnet.

SPARTANAT präsentiert hier exklusiv das Interview mit dem Gründer von Reverse Side of the Medal:

KAMPFERFAHRUNG

SPARTANAT: Sie sind Kriegsveteran. An welchen Konflikten haben Sie teilgenommen?

ADMIN: Wie jeder russische Staatsbürger im Alter von 18 Jahren bin ich in die Armee eingezogen geworden (in Russland gibt es nach wie vor eine Wehrpflicht). Ich begann meinen Dienst bei den Spezialkräften der Inneren Truppen. Ich zog zum ersten Mal in den Krieg, als die Republik Dagestan von Bassajew und Chattab mit ihren Einheiten überfallen wurde. Später setzten sich diese Ereignisse im zweiten Tschetschenienfeldzug fort. Ich habe von 1998 bis 2000 gedient. Ich bin ein Veteran mit Kampfeinsätzen. Nach meinem Dienst bei den Spezialkräften der Inneren Streitkräfte trat ich den Spezialkräften der Polizei SOBR bei und diente dort bis 2012.

SPARTANAT: Warum sind Sie später als Nicht-Soldat in die Ukraine gegangen, als dort die Krise begann?

ADMIN: Wie ich schon sagte, wurde ich aus den Reihen der SOBR entlassen, aber gleichzeitig habe ich gefühlt, dass das Kriegshandwerk mich immer noch anzog. Und das Schicksal gab mir einen weiteren Grund, das zu tun, was ich am besten kann – zu kämpfen. Die Kämpfe begannen in der Ostukraine, wo die überwiegende Mehrheit der Menschen sich als Russen identifiziert: Sie sind geistig Russen, sie sprechen Russisch und schreiben auf Russisch, sie denken auf Russisch und leben in der russischen Kultur.

Und zu sehen, wie die ukrainischen Streitkräfte kriminelle Befehle der Militärführung des Landes ausführen und viele unkontrollierte, sogenannte „Freiwilligenbataillone“ offen ethnische Säuberungen der prorussischen Bevölkerung planten – als ich all das gesehen hatte, konnte ich einfach nicht mehr zu Hause bleiben und das am Fernsehbildschirm weiter beobachten, – beziehungsweise Tagesberichte im Internet zu lesen.

IM KRIEG IN DER UKRAINE

SPARTANAT: Der heutige 18. Februar ist der sechste Jahrestag des Endes der berühmten Operation in Debalzewo im Donbass-Krieg, an der Sie teilgenommen haben …

ADMIN: Was da passierte, begann als ich ein gewöhnlicher Kämpfer war. Niemand von den Stabsstellen hat mich eingeladen, ich konnte die Absichten der militärischen Führung nicht kennen. Zu dieser Zeit gab es harte Kämpfe um den Flughafen Donezk und Kämpfer des ORB „Sparta“ schafften es, das neue Flughafenterminal einzunehmen. Weitere Offensiven wurden am gleichen Frontabschnitt unternommen, waren aber erfolglos. Den Donezker Milizkräften gelang es, eine große Gruppe feindlicher Kräfte um den Flughafen von Donezk einzukreisen und so die Aufmerksamkeit des Gegners auf diesen Sektor zu lenken. Unmittelbar danach begann eine Offensivoperation auf Debalzewo, die mit dem Sieg der irregulären Einheiten (Donbass-Verteidigungskräfte) über die reguläre Armee (Ukraine) endete.

SPARTANAT: Was war die Rolle der Russen bei dieser Operation? Waren russische Soldaten daran beteiligt, wie viele Quellen behaupten?

ADMIN: Persönlich habe ich dort keinen aktiven russischen Heeresangehörigen getroffen. Ja, es gab einige Kämpfer, die noch vor kurzem in den Reihen der russischen Streitkräfte oder anderer Sicherheitsbehörden aktiv waren, aber nach vorzeitiger Beendigung ihres Vertrages als Freiwillige in den Donbass gingen. Generell sind meines Wissens nach mehr als 10.000 russische Bürger wegen des Konflikts im Donbass in den Krieg gegen die ukrainischen Streitkräfte gezogen. Da nur sehr wenige der lokalen Milizionäre über Kampferfahrung verfügten, war die Hilfe russischer Freiwilliger, die bereits mehr als einen lokalen militärischen Konflikt hinter sich hatten, sehr nützlich. Ich möchte darauf hinweisen, dass unter denen, die in den Donbass zogen, auch solche waren, die noch nicht einmal ihren Militärdienst absolviert hatten. Das Hauptrückgrat der Verteidigungskräfte der Volksrepubliken Donezk und Lugansk waren jedoch russische Freiwillige, die zu dieser Zeit bereits Veteranen waren.

SPARTANAT: Wie werden sich die Ereignisse in der Ukraine weiter entwickeln?

ADMIN: Meiner Meinung nach muss die Lösung des Konflikts politisch sein!

RUSSISCHE MARSMENSCHEN

SPARTANAT: Ihre Bewegung gewinnt immer mehr an Popularität, sowohl in Russland als auch im Ausland. Woher kommt das große Interesse?

ADMIN: Nach wie vor gibt es ein großes Informationsbedürfnis über diese Geschehnisse. RSOTM füllte diese Lücke aus. Dazu kommt eine gewisse Art von Geheimhaltung, die für viele Besucher sehr reizvoll ist. Übrigens nennen wir (russische Freiberufler) uns manchmal „Marsmenschen“, da die Kämpfe in den arabischen Wüsten wie Gefechte auf der Oberfläche des Mars aussehen. Und so glauben manche tatsächlich an Marsmenschen, manche nicht (lacht). Aber jeder ist neugierig: Gibt es diese Marsianer überhaupt? Und nun kehren genau diese Marsmenschen von einem Ort zurück, von dem viele andere leider nicht zurückkehren konnten.

Das erinnert vor allem viele jüngere Russen an einen Song des russischen Sängers Ivan Alekseev – „Es ist geil auf dem Mars“:

„Sie waren uns ähnlich, natürlich nicht in allem, aber doch

Ohne jeglicher abgebrühten Exotik.

Die gleiche Form der Ohren, die gleiche Fingerlänge und

Sie hatten genauso viel Angst zu sterben wie du und ich.“

Aber es gibt auch ein großes Interesse von Ausländern an unserer Arbeit und dementsprechend an RSOTM. Darunter befinden sich nicht nur aktive Soldaten, sondern auch Analysten.

Dazu kommen auch noch diejenigen, die sich für das Thema der „russischen Freelancer“ allgemein interessieren. Schließlich ist die Idee nicht dieselbe wie in anderen Ländern. In unserem Land gibt es ein Sprichwort: „Russland kann nicht mit dem Verstand verstanden werden“. Deshalb beobachten ausländische Leser RSOTM mit großem Interesse, als ob sie eine neue traditionelle Küche in einem fremden Land ausprobieren würden. Und der Krieg ist für die Russen eine traditionelle Küche. Und wir sind die Köche.

SPARTANAT: Wann und warum sind Sie dann doch vom Krieg zu einem friedlichen Leben gewechselt?

ADMIN: Wenn du dein Leben riskierst, und es relativ oft tust, bekommst früher oder später gesundheitliche Probleme, und die sind auch bei mir aufgetreten.

DIE IDEOLOGIE HINTER RSOTM

SPARTANAT: Im Westen würde man Ihnen schnell eine „Romantisierung“ eines kommerziellen und blutigen Söldnerwesens vorwerfen …

ADMIN: Zunächst mal: Wir romantisieren den Krieg nicht. Im Gegenteil, wir haben immer wieder gesagt, dass der Krieg kein Ritterturnier ist. Es geht am Ende natürlich immer darum, zu töten, um nicht selbst getötet zu werden.  

Wir nennen uns mit unserem Telegram-Kanal „Die andere Seite der Medaille“, wir zeigen den Krieg, so wie er ist. Da gibt es nicht viel davon, was junge Leute, die Krieg für romantisch halten, erwarten. Es gibt aber die tatsächliche Kehrseite der Medaille, wenn man im Krieg die Kameraden im Stich lässt, wenn man im Krieg in den Rücken schießt oder Zivilisten tötet. Manches geschieht versehentlich, manches absichtlich, und manches ist gar genötigt. Und ja, es ist alles schlecht.

Und zum Thema „Söldnerwesen“: Wir haben uns nie als Söldner betrachtet. Wie unterscheidet sich die reguläre russische Vertragsarmee von uns? Und wird vorgeworfen, dass wir für Geld kämpfen. Hier sage ich: Liebe Freunde, so groß sind diese Bezüge auch wieder nicht, wie manche vielleicht denken. Wir führen die Aufgaben ausschließlich im Interesse Russlands und seiner nationalen Sicherheitsstrategie aus. Wir sind nicht diejenigen, die morgen doppelt soviel Belobigungen vom Gegner bekommen und für die andere Seite kämpfen werden. Außerdem bietet die andere, die gegnerische Seite auch jetzt schon mehr Lohn an, aber die Leute strömen trotzdem zu uns. Viele Freiwillige, die zu uns kommen, können aus diesem oder jenem Grund nicht beim regulären Militär dienen. Aber sie spüren die Pflicht ihrer Heimat gegenüber. Und wir werden überall dorthin in der Welt hingehen, wo unsere Heimat uns braucht und brauchen wird.

SPARTANAT: Vielen Dank für das Gespräch.

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