„Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“ Dieser Leitsatz, auch bekannt als „Murphy’s Law“, findet sich auf der Internetseite eines Wiener Computerexperten. Der Mann hat offensichtlich Humor. Es handelt sich nämlich um Christian H., IT-Chef des – im Rahmen einer Hausdurchsuchung Ende Februar ins Gerede gekommenen – Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Dienstlich ist er quasi Österreichs oberster Computer-Agent. Das hindert ihn aber nicht daran, auch privat seine umfassenden Qualifikationen – etwa als zertifizierter „Computer Hacking Forensic Investigator“ – zu Geld zu machen. Wir bringen den achten Teil der ADDENDUM-Recherche zum österreichischen Nachrichtendienst.

H. ist bei weitem nicht der einzige Bedienstete wichtiger österreichischer Sicherheitsbehörden, der neben dem Staatsdienst Zeit hat, seinen Privatgeschäften nachzugehen. Auf Anfrage von Addendum heißt es aus dem Kabinett von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ): „Mit Stand 1.8.2018 üben 36 Bedienstete des BVT sowie 113 Bedienstete des Bundeskriminalamts genehmigte Nebenbeschäftigungen aus.“

Heikle Aussage eines BVT-Zeugen

Besonders auffällig ist jedoch die Häufung im IT-Bereich: Neben Christian H. bieten Addendum-Recherchen zufolge gleich mehrere weitere Computerexperten des BVT privat IT-Dienstleistungen an. Im Bundeskriminalamt dürften es sogar mehr als 15 sein. Wenn jemand untertags im Allerheiligsten der staatlichen Computersicherheit Dienst versieht und am Abend oder am Wochenende privat sein Know-how zu Geld macht, ist das Potenzial für Interessenkonflikte groß. Spätestens seit der Aussage eines der Hauptzeugen in der BVT-Causa sollten die Alarmglocken schrillen.

Anton H., Handyforensiker der Polizei und bis zu seiner Aussage Ende Februar 2018 dem BVT zugeteilt, gab unter Wahrheitspflicht Folgendes zu Protokoll:

„Ich kann mich an einen Fall erinnern, das war Anfang Dezember 2017, wo aufgrund einer durchgeführten HD (Hausdurchsuchung, Anm.) in meinem Büro etwa 60 Mobiltelefone auf meinem Tisch lagen. H. (der IT-Chef, Anm.) hat mich angesprochen, ob ich zu einem konkreten Mobiltelefon die Anrufliste, die SMS-Konversation und das Adressbuch auslesen könnte, das habe ich auch gemacht im Glauben, das gehöre zum gegenständlichen Verfahren. Ich habe am nächsten Tag am Gang ein Gespräch zwischen H. und G. (einer Referatsleiterin im BVT, Anm.) mitbekommen, wo sie über ein Gutachten gesprochen haben. H. hielt dieses Mobiltelefon in der Hand und sagte zu G. ‚Für die paar Daten 400er‘. Für mich war klar, dass H. damit meinte, dass er für das Gutachten zur Auswertung dieser Daten privat EUR 400 bekommen habe.“

Addendum hat IT-Chef H. Fragen in Bezug auf seine Nebenbeschäftigung geschickt. Sein Anwalt wollte jedoch – auch in Bezug auf die belastende Zeugenaussage von Anton H. – keine Stellungnahme abgeben. IT-Chef H. ist in anderem Zusammenhang Beschuldigter in der BVT-Affäre, hat sämtliche Vorwürfe aber immer zurückgewiesen.

Dienstliche Daten privat gespeichert

Kein Beschuldigter ist der erwähnte BVT-IT-Mitarbeiter Norbert B., dennoch gab es bei ihm eine Hausdurchsuchung. Die Razzia wurde inzwischen vom Oberlandesgericht Wien für unrechtmäßig erklärt. Die ermittelnde Staatsanwältin Ursula Schmudermayer ließ im BVT-U-Ausschuss jedoch mit der Aussage aufhorchen, dass man bei B. „auf privaten Speichermedien“ dienstliche Daten gefunden habe. B. wiederum betreibt nebenberuflich im Waldviertel eine IT-Firma.

Addendum fragte den BVT-Mitarbeiter unter anderem, ob er ausschließen könne, berufliche Informationen privat bzw. geschäftlich genutzt zu haben. Die Antwort seines Anwalts kam prompt: „Mein Mandant wird keine Ihrer Fragen beantworten und behält sich rechtliche Schritte vor, falls er von Ihrer Seite weiter kontaktiert wird.“ Auch zum brisanten Datenfund wollte der Anwalt keine Angaben machen.

„Im Einzelfall rechtlich relevant“

Das Kabinett des Innenministers erteilt folgende allgemeine Auskunft zum Thema Nebenjobs: „Die Ausübung einer Nebenbeschäftigung ist von der Dienstbehörde zu prüfen. Im Falle der Behinderung dienstlicher Aufgaben, der Vermutung der Befangenheit oder der Gefährdung sonstiger wesentlicher Interessen, ist die Nebenbeschäftigung durch diese schriftlich zu untersagen. Ein Interessenskonflikt zur Tätigkeit im BVT könnte dabei im Einzelfall rechtlich relevant sein.“

Cybercop auf privater Mission

Doch nicht nur im Verfassungsschutz gibt es eigenartige Firmenverbindungen. Ein interessanter Fall ist auch Erhard F., „Cybercop“ im Bundeskriminalamt. Seine Frau betreibt – welch Zufall – ein IT-Unternehmen. Dass F. mit seinem umfassenden Computerwissen dort hin und wieder mithilft, könnte sich aber aus der Tatsache ergeben, dass er über eine Firmen-E-Mail-Adresse verfügt. Eine Anfrage ließ er unbeantwortet. Stattdessen teilte eine Sprecherin des Bundeskriminalamts mit, dass „wir über persönliche Angelegenheiten unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Auskunft erteilten“. Die Website war zuletzt offline, die Gewerbeberechtigung von Frau F. aber weiterhin aufrecht.

Der Grafik-Inspektor

Ähnlich knapp und brüsk fiel die Stellungnahme des Landeskriminalamts Wien aus. Sprecher Harald Sörös teilte nicht einmal eine Stunde nach Erhalt einer Addendum-Anfrage zu den Nebenbeschäftigungen der LKA-Wien-Mitarbeiter mit, dass er keine Detailauskünfte erteilen könne. Detailzahlen – sortiert nach Abteilungen – könnten nicht „ohne erheblichen administrativen Aufwand“ erhoben werden. Außerdem handle es sich nicht um eine Auskunft, „die für die Öffentlichkeit von jeglicher Relevanz ist“.

Dass es für die Öffentlichkeit nicht interessant sein soll, wie viele – vom Steuerzahler entlohnte – Beamte trotz herausfordernder Dienstpflichten Muße für einen Nebenberuf haben, überrascht. Dass Herrn Sörös die Zeit fehlt, den „erheblichen administrativen Aufwand“ in seinem Job zu bewältigen, leuchtet wiederum ein. Ein Blick ins Firmenbuch offenbart nämlich: Der Polizeisprecher ist nebenher Geschäftsleiter einer Grafikfirma im Burgenland, die im niederösterreichischen Bezirk Lilienfeld eine Zweigstelle betreibt.

Die NSA-Connection

Sehr wohl Angaben zu seiner Nebenbeschäftigung macht Josef R., Leiter der Cybercrime Unit des Landeskriminalamts NÖ. Ihm gehört eine IT-Firma. Geschäftsführer ist ein Verwandter von ihm, dennoch verfügt R. über eine Firmen-E-Mail-Adresse und ist auch tatsächlich für das Unternehmen tätig.

Interessant ist das deshalb, weil R. zwei alte Bekannte hat: Gerald W. und Wolfgang H., die Chefs der Sicherheitsfirma NSA, die derzeit mit einer Betrugsanklage zu kämpfen haben. Dabei geht es um alte Handys und den Verdacht, die Meinl-Bank hätte zur Zahlung von 1,5 Millionen Euro verleitet werden sollen.

Hochsensible Kunden

R. taucht im Ermittlungsakt nicht auf. Er bestätigt auf Anfrage, Die NSA-Chefs W. und H. aus der gemeinsamen Polizeivergangenheit seit 35 bis 40 Jahren zu kennen und auch für sie Dienstleistungen erbracht zu haben: „Wenn IT-Bedarf da war, sind sie zu mir gekommen.“ Er habe für die NSA allerdings keine forensischen Ermittlungen durchgeführt – und auch keine Handydaten ausgelesen. Interessenkonflikte zwischen seiner privaten und seiner hauptberuflichen Tätigkeit schließt R. aus.

In einer Einladung zu einem – von einer Bank veranstalteten – Vortrag im Frühjahr 2018 hieß es: „Als Gründer und Eigentümer des Unternehmens (…) betreut Ing. R. hochsensible Kunden im Bereich Netzwerk und Security“. „Hochsensibel“ ist das richtige Stichwort. Für viele Spezialermittler im Staatsdienst und ihre Nebenjobs.

Übrigens: Im Heeresnachrichtenamt und im Abwehramt sind Nebenbeschäftigungen wesentlich strenger geregelt.

Addendum Artikelserie BVT: 

Die Einleitung auf SPARTANAT: BVT in Österreich: Wie kaputt war der Geheimdienst? 

Teil 1: Das BVT – eine Fehlkonstruktion?

Teil 2: Österreichischer Agent mit Agenda

Teil 3: Der „Chefspion“, der aus der Partei kam

Teil 4: Agent Gridling – die andere BVT-Affäre

Teil 5: Die Mauer des Schweigens

Teil 6: Der „Chefspion“ und die ÖVP

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ADDENDUM im Internet: www.addendum.org