Nationalfeiertag, eine Strandpromenade. Tausende Menschen, die auf ein Feuerwerk warten. Ein LKW. Den Rest müssen wir nicht erzählen. – Ralf Kassner, ehemals GSG9 und heute Chef der Sicherheitsfirma Wodan Security hatte mit dem Promenade auch bereits zu tun, auch weil das Umfeld als gefährdet galt. Wir wollten seine Meinung zum Anschlag von Nizza wissen.

SPARTANAT: Ralf, Du selbst hast in Nizza im Personenschutz gearbeitet. Wie stellt sich dir der Anschlag dar?

Ralf Kassner: Ich war dieses Jahr schon mehrfach im Personenschutz in Nizza unterwegs. Schon während meiner Aufenthalte gab es desöfteren Einsätze der Gendarmerie und des Militärs – insbesondere im Bereich des Massena Platzes, einem beliebten touristischem Ziel. Im Rahmen unserer Einsatzvorbereitung stießen wir auf bekannten Portalen immer wieder auf die Terrorwarnungen für die Cote d’Azur.

Dieser Anschlag ist wieder einmal eine feige Tat, bei der wahllos Menschen getötet wurden, darunter viele Frauen und Kinder. Der Anschlag war aber aus planerischer Sicht des Täters und der Auswahl des Zieles am Nationalfeiertag gut durchdacht und militärisch und strategisch durchgeführt. Dies betone ich, weil es auch bei vielen anderen Anschlägen eine extrem gute Vorbereitung seitens der Täter gab.

Ich denke auch die Sicherheitskräfte vor Ort konnten die Tat in Nizza erst spät als Anschlag wahrnehmen, was das Vorgehen gegen den Täter extrem schwer macht.

SPARTANAT: Gab es deiner Meinung nach eine schlechte Absicherung der Großveranstaltung? Oder ist es einfach so einfach ein Massenmörder zu sein?

Ralf Kassner: Naja, nach meiner Denkweise muss man schon ziemlich gestört sein, wahllos Menschen zu töten – und sei das unter dem Deckmantel der Religion oder des Fanatismus.

Aber man braucht nicht zwangsläufig eine Schusswaffe dafür, deshalb verstehe ich auch diese ganze Diskussion zur Verschärfung des Waffenrechts nicht! Will man jetzt LKW Führerscheine begrenzen? Einem Täter, der zu allem bereit ist, kann jedes erdenkliche Tatmittel recht sein …

Zu Deiner Frage der Absicherung der Veranstaltung halte ich mich an meinen Grundsatz: Beurteile niemals eine Situation in der Du nicht selbst warst. Grundsätzlich haben gerade die Franzosen große Erfahrung im Anti-Terrorkampf und haben auch während der EM eine exzellente Arbeit gemacht!

Fängt man im Nachhinein an zu diskutieren, warum waren da keine Panzersperren etc, ja dann kommen die Täter mit einem Motorrad mit Sprengstoff und fahren in eine Menschenmenge. Es gibt so viele denkbare Szenarien und man kann sich nicht auf alles vorbereiten und alles verhindern. Das kann kein Land der Welt!

Ohne geheimdienstliche Informationen oder Tipps aus dem direkten Umfeld des Täters wird es unheimlich schwer sein, solche Taten zu verhindern.

SPARTANAT: Oder nochmals anders gefragt: Haben Exekutive und Personenschützer bei einem einzelnen Täter, der scheinbar ohne organisatorische Anbindung und ohne jede Ankündigung zuschlägt, überhaupt eine Chance, so ein Attentat im Vorfeld zu verhindern?

Ralf Kassner: Ich denke ohne geheimdienstliche Informationen oder Tipps aus dem Umfeld des Täters wird es unheimlich schwer sein, solche Taten zu verhindern. Die Täter müssen aber auch eine eigene Aufklärung ihres Zieles betreiben um Ihre Taten zu planen. Auch der Attentäter von Nizza soll vorher mehrfach am Schadensort gewesen sein. Verhalten Täter sich auffällig durch Foto/Videoaufnahmen etc., dann hat man vielleicht eine geringe Chance aufmerksam zu werden. Da die Täter sich aber dem normalen Umfeld anpassen, oftmals ihre Bärte rasieren und zivile Kleidung tragen, ist diese Chance eher gering.

Im Personenschutz kann ich dem Kunden nur empfehlen, ein bestimmtes Land nicht zu besuchen, oder sich von besonderen Veranstaltungen fern zu halten. Aber auch hier sind die meisten ja eher beratungsresistent …

Das erfordert für das Team dann eine gute operative Vorbereitung, Notfallpläne, Zusatzkräfte aus dem jeweiligem Land, Safe Houses und vieles mehr.

SPARTANAT: Wir lernen, dass zum Massenmord von der AK über den Sprengstoffgürtel, vom Flugzeug bis zum Auto und zum Messer alles taugt, was greifbar ist. Was heißt das für das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft?

Ralf Kassner: Ich denke das ist eher eine Frage für unsere Politik, man wird dieses Thema sicherlich für den Wahlkampf nutzen. Äußerungen wie: „nähere Informationen würde Sie sicherlich zu sehr verunsichern“ tragen aber nicht dazu bei, die Bevölkerung zu beruhigen.

Wir hatten ja bisher in Deutschland noch großes Glück , aber aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zu Frankreich und Belgien und den Anschlägen in den vielen Urlaubsregionen sind die Deutschen zumindest nachdenklicher geworden und überlegen mehr, welche Urlaubsziele sie wählen. Ein nachvollziehbarer Prozess, aber es spielt auch den Terroristen in die Hände, die ja auch das Ziel haben ein Land zu destabilisieren, gerade in Ländern, die vom Tourismus leben (Türkei, Tunesien, Ägypten …)

Der Terror verschafft Verunsicherung in der ganzen Welt, er betrifft nicht nur unsere Soldaten und Sicherheitskräfte, sondern es kann jeden treffen … Die Zeiten werden nicht besser werden.

SPARTANAT: Daesch schafft es immer wieder zu schweren Attentaten direkt anzustiften (Paris, Brüssel) oder anzuregen (Nizza). Andererseits scheint sich eine regelmäßige und europaweite Terroroffensive nicht auszugehen. Was ist für dich die Perspektive des Terrors in Europa?

Ralf Kassner: Schwierige Frage … Wir leben zwar in Europa und jeder schaut ja zunächst vor seine eigenen Tür, aber Terrorimus ist international, deshalb sollte er auch global betrachtet werden. Wir hatten in diesem Jahr schon mehr als 160 als Terrorakt bezeichnete Anschläge mit mehr als 1.200 Opfern weltweit.

Täter waren nicht nur IS sondern auch Hamas, Boko Haram und viele andere.

Als Ziele wurden maßgeblich sogenannte „soft targets“ gewählt: Hotels, Clubs, Restaurants und Großveranstaltungen, sowie typische touristische Attraktionen, auch Züge, Bushaltestellen u.ä

Der Terror verschafft Verunsicherung in der ganzen Welt, er betrifft nicht nur unsere Soldaten und Sicherheitskräfte, sondern es kann jeden treffen. Ob es jemals eine politische Lösung geben wird, wage ich zu bezweifeln. Aber der Erfolg von halbherzigen Luftangriffen zeitigt ebenso nur bedingt Wirkung.

SPARTANAT: Mache Medien spekulieren über den Geisteszustand des Täters, wohl um den Anschlag als Tat eines Irren darzustellen. Gibt es irgendwelche Zweifel, dass das ein islamistisches Attentat war?

Ralf Kassner: Nach neuesten Informationen soll er sich zunehmend radikalisiert haben und auch angeblich Hintermänner haben, die er nach weiteren Waffen gefragt haben soll. Stimmen diese Angaben, gibt es wenig Zweifel. Jedoch hat der IS  sich entgegen vorheriger Taten erst spät dazu bekannt (– u.: die Bekennung über die IS-nahe Agentur Amaq).

SPARTANAT: Wie kann man sich individuell auf so eine Situation vorbereiten? Wie schützt man sich?

Ralf Kassner: Der normale Bürger sollte sich bei seinen Reisen in ein Land mit der dortigen Situation auseinandersetzen und sein Urlaubsziel bewusst wählen. Aufmerksamkeit ist in der heutigen Zeit gefragt und jeder sollte sein eigenes Sicherheitsmanagement durchführen: Was mache ich wenn … Auch ein Medic Training kann nie schaden. Sicherheitskräfte sollten sich auf extreme Situationen vorbereiten, ähnlich wie wir es bei unserer International Bodyguard Conferenz in Tschechien im Juli noch geschult haben. In der heutigen Zeit sollte ein Umdenken zur Planung, Taktik, Training und Ausrüstung Pflicht sein, denn die Zeiten werden sicherlich nicht besser.

RALF KASSNER, Jahrgang 1967, gehörte 20 Jahre lang den Polizeispezialeinheiten GSG 9 und SEK an und war dabei für die Bekämpfung terroristischer Bedrohungen, der organisierten Kriminalität, Beratung bei Geiselnahmen und Erpressungen in vielen hundert Einsätzen tätig. Zu den Stationen seiner Laufbahn gehören die Anti-Terror-Spezialeinheit der Bundespolizei GSG 9, das Spezialeinsatzkommando SEK, die Zielfahndung des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, sowie der Personenschutz hochrangiger Persönlichkeiten und die Sicherheitskoordination für Aida Cruises. Außerdem wirkte Ralf Kassner in vielen nationalen und internationalen Ausbildungsmaßnahmen mit, wie z.B. bei der Delta Force, Navy SEAL Team 6, SAS und weiteren internationalen Spezialeinheiten aus Europa, Nordafrika und Fernost. Seit 2012 leitet er Wodan Security.

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