Unter dem Eindruck des Massenmordes von Paris ist dieses SPARTANAT Interview mit Sicherheitsexperten Ralf Kassner vom August 2015 geradezu prophetisch. Anlass vor wenigen Monaten: Ein gescheiterterer Attentatsversuch im Zug von Amsterdam nach Paris war glimpflich ausgegangen, weil Männer sich dem Täter entgegengestellt haben und ihn überwältigen konnten. Ansonsten wäre das schon ein Massaker geworden. Aber Anschläge, die Amokläufen gleichen, mehren sich – Mumbai 2008, Charlie Hebdo, Kopenhagen voriges Jahr, der Strand in Tunis – gestern in der Nacht Paris. Wir haben mit dem Personenschutzexperten Ralf Kassner – der ehemalige GSG 9 Beamte leitet das deutsche Sicherheitsunternehmen Wodan Security – über die zunehmende Gefahr von Amoktätern und was dagegen unternommen werden kann gesprochen.

SPARTANAT: Bei der letzten Fachkonferenz Personenschutz von Wodan Security wurde eine konkrete Gefahr beschrieben: der islamistisch motivierte Einzeltäter mit AK oder Messer. Passt das verhinderte Ereignis von vor dem Wochenende in das Schema?

Ralf Kassner: Diese Art von Anschlägen war Teil unseres Taktiklehrgangs im Juni diesen Jahres. Dort haben wir verschiedene Szenarios trainiert bei denen ein motivierter Einzeltäter oder eine kleine Tätergruppe Anschläge auf weiche Ziele verübt, bewaffnet mit einer hohen Feuerkraft und/oder Messer und Machete. Schwerpunkt war das taktische Vorgehen, Kommunikation, Wahrnehmung, Sicherungsverhalten und die richtige Ausrüstung. Aufgrund der positiven Resonanz bieten wir einen ähnlichen Kurs auch im kommenden Jahr wieder an.

Großes Lob in diesem Zusammenhang an die mutigen Marines und Helfer, die ein großes Blutbad durch ihren vorbildlichen Einsatz verhindert haben!

SPARTANAT: Kann man sich auf so eine Gefahr vorbereiten? Wie schützt sich der Normalbürger, wenn der Fall eines Amoktäters eintritt?

Ralf Kassner: Ich denke, dass diese Art von Gewalt, sei sie islamistisch begründet oder eine Amoksituation, nicht 100 Prozent zu verhindern ist. Die Frage ist, wie bereite ich mich als normaler Bürger oder als Einsatzkraft mit Garantenfunktion auf solche Situationen effektiv vor?

Als normaler Unbewaffneter und nicht trainierter Bürger sind meine Überlebenschancen wesentlich geringer als bei einem ausgebildeten, bewaffneten Personenschützer oder Polizisten. Für Amoksituationen empfehle ich ein Video das auf der Seite von Homeland Security zu finden ist, das beschreibt mögliche Chancen und Verhalten als Normalbürger.

Die Welt hat sich verändert und das sollte jedem klar sein. Auch die Wellnessoase Deutschland wird ein mögliches Ziel werden.

Weiterhin kann ich Risiko minimieren, indem ich aufmerksam bin und auch auf Situationen und herrenlose Gegenstände im Bahnhof, Zug usw achte. Außerdem sollte man im Urlaub große Personengruppen meiden und bestimmte Länder nicht bereisen. Die Welt hat sich verändert und das sollte jedem klar sein. Auch die Wellnessoase Deutschland wird ein mögliches Ziel werden.

SPARTANAT: Noch mehr gefordert sind professionelle Personenschützer  (im Bild: Ermordung eines französischen Polizisten durch die Pariser Attentäter). Wie müssen die reagieren?

Ralf Kassner: Als Sicherheitsmitarbeiter/Polizist etc. sollte man sich unbedingt auf diese Gefahren vorbereiten. Das fängt schon im Kopf an, indem ich mich damit auseinandersetze, meine Einsatzplanungen anpasse, mein Training (auch in Teams ) darauf abstimme, meine Ausrüstung/Schutzklasse Weste etc richtig wähle und vieles mehr.

Dem Bereich der Aufklärung/Voraufklärung obliegt hier eine besondere Bedeutung, auch Täter planen in der Regel ihre Anschläge und suchen sich ihre Ziele bewusst aus. Sie werden diese Orte vorher aufsuchen …

Weiterhin sind Absprachen und Taktiken im Team entscheidend. Individuelle Fähigkeiten setze ich einfach voraus.

Wir bieten im nächsten Jahr speziell für die Personenschützer der Dax 30 Unternehmen einen Taktiklehrgang an, der darauf abzielt allen Personenschützern ein einheitliches taktisches Vorgehen zu vermitteln, welches ermöglichen soll, bei Schadenseintritt oder Bedrohung der Schutzperson ohne große Absprachen gemeinsam und effektiv zu handeln. Das ist sehr sinnvoll, da z.B. bei Vorstandstreffen meist nie das ganze Team eingesetzt ist, sondern ein Schützer der Firma A, einer der Firma B usw. Außerdem sind unterschiedliche Ausbildungen bei den Kräften als Background vorhanden, private, polizeiliche und militärische. Wir kombinieren die Systeme und möchten einen gemeinsamen Weg anbieten.

SPARTANAT: Kann man wirklich vorbereitend mit solchen Situationen – im Bild: einer der Attentäter in Mumbai 2008 – umgehen?

Ralf Kassner: Man kann Risiko minimieren, aufmerksam sein, sorgfältig planen und gut trainieren. Das notwendige Quäntchen Glück braucht man aber immer.

SPARTANAT: Es zeichnet sich nicht ab, dass die Lone-Wolfe-Attentate aufhören werden. Glauben Sie für Wodan Security, dass das Sicherheitsbedürfnis noch von staatlicher Seite allein gestillt werden kann? Oder sind private Dienstleister künftig mehr und stärker gefordert?

Diese Art von Anschlägen werden noch mehr werden, der Staat hat aber zu viele unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen und leidet unter Personalknappheit.

Ralf Kassner: Diese Art von Anschlägen werden noch mehr werden, der Staat hat viele unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen, dazu kommen dann Personalknappheit, die große Flüchtlingswelle, arabische Großfamilien und vieles mehr. Kräfte werden durch Papierarbeit gebunden und fehlen auf der Straße. Ich denke, dass ein Outsourcing bestimmter Aufgaben erfolgen wird und ja teilweise schon stattfindet (Gepäckkontrollen Flughafen, Wachschutz etc.). Prognosen sagen, dass in der Zukunft Sicherheit ein Gut der Reichen wird, da diese es sich leisten können. Ich hoffe nicht, dass es soweit kommt, Sicherheit muss in einem Rechtsstaat durch den Staat und für jeden Bürger gewährleistet sein. Allerdings könnte der Staat bestimmte Ausbildungen und Trainings privaten Firmen übertragen, wie es z.B. in Amerika schon lange praktiziert wird, weil es günstiger ist und ebenso effektiv. Genauso können bewaffnete und unbewaffnete Objektschutzmaßnahmen in private Kontrolle deligiert werden.

Ralf KassnerRALF KASSNER, Jahrgang 1967, gehörte 20 Jahre lang den Polizeispezialeinheiten GSG 9 und SEK an und war dabei für die Bekämpfung terroristischer Bedrohungen, der organisierten Kriminalität, Beratung bei Geiselnahmen und Erpressungen in vielen hundert Einsätzen tätig. Zu den Stationen seiner Laufbahn gehören die Anti-Terror-Spezialeinheit der Bundespolizei GSG 9, das Spezialeinsatzkommando SEK, die Zielfahndung des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, sowie der Personenschutz hochrangiger Persönlichkeiten und die Sicherheitskoordination für Aida Cruises. Außerdem wirkte Ralf Kassner in vielen nationalen und internationalen Ausbildungsmaßnahmen mit, wie z.B. bei der Delta Force, Navy SEAL Team 6, SAS und weiteren internationalen Spezialeinheiten aus Europa, Nordafrika und Fernost. Seit 2012 leitet er Wodan Security.

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