Es ist als ob eine Welt an der anderen vorbei redet: Die Bundeswehr kommuniziert über die Weisung des Generalinspekteurs, der sich auf Gutachten bezieht, die aber allemal nicht öffentlich gemacht werden. Aber man lässt Teile durchsickern. Passende, geleakte Stelle finden sich meist in großen Massenmedien. Wer selektierten Gutachten O-Ton haben will: HIER beim Blog  AUGEN GERADEAUS finden sich einige Kernstellen aus Gutachtenteilen. Durchaus seltsam: H&K will die Berichte haben, um dazu kompetent Stellung nehmen zu können, kriegt sie aber nicht. Gleichzeitig sind die Aussagen der Bundeswehr leicht widersprüchlich. Auf die Bruckstücke aus den Medien antwortet nun Heckler & Koch wiederum. Wir dokumentieren die Antwort hier vollständig:

Stellungnahme Nr. 6 von Heckler & Koch zum Sturmgewehr G36

Bundeswehr-Erprober ließen eingeführtes HK-Gewehr MG36 unberücksichtigt

Beschusszyklen und Auswertungsmethoden offensichtlich willkürlich geändert

Vergleichbarkeit der jüngsten Ergebnisse mit bisherigen Untersuchungen, sowie Vorgaben der Technischen Lieferbedingungen und Vorschriften der Bundeswehr unmöglich

BMVg verweigert Herausgabe des Berichts

Wenige Tage nach Bekanntwerden des jüngsten Untersuchungsberichts zum G36 verdichten sich Indizien, die erhebliche Zweifel an der technischen Glaubwürdigkeit der Versuchsdurchführung und der hieraus abgeleiteten Schlüsse begründen.

Bundeswehr-Erprober ließen eingeführtes HK-Gewehr MG36 unberücksichtigt

Zusammen mit dem heute bekannten Standardgewehr G36 wurde Mitte der 1990er Jahre auch eine weitere Variante des G36, unter der Bezeichnung MG36, erfolgreich erprobt und unter den NATO-Versorgungsnummern 1005-12-336-6892 und 1005-12-336-6893 eingeführt. Somit kann das MG36 jederzeit durch die Truppe auf dem Nachschubweg angefordert werden bzw. ohne weitere Erprobung durch das BAAINBw beschafft werden.

Das MG36 sollte als G36-Variante im infanteristischen Waffenmix in der Gruppe die Funktion eines leichten Maschinengewehres übernehmen.

Im Juli 1995 wurde das MG36 durch den Bund mit einer Stückzahl von 4.700 Stück bei Heckler & Koch bestellt, jedoch aufgrund eines seitens der Bundeswehr gewünschten Änderungsvertrags aus dem Oktober 1997 schließlich bis auf weiteres nicht beschafft. Von einer tatsächlichen Beschaffung unbeeinträchtigt, handelt es sich beim MG36 jedenfalls um eine bei der Bundeswehr offiziell eingeführte Waffe auf Basis des Sturmgewehres G36 im NATO-Kaliber 5.56mmx45.

Das MG36 ist identisch mit dem G36, verfügt jedoch über ein wesentlich dickeres Rohr als das G36; das MG36 wiegt aber insgesamt nur ca. 135g mehr als das G36.1

Somit ist ein MG36-Rohr einem G36-Sturmgewehrrohr technisch deutlich ähnlicher als das Rohr der jüngst getesteten Sonderwaffe HK416Bw, welches fast 50% mehr Rohrmasse aufweist, während das MG36-Rohr gegenüber dem G36-Rohr nur ca. 20% mehr Rohrmasse aufweist.

Es stellt sich daher die Frage, warum das in die Bundeswehr bereits eingeführte MG36 bei den jüngsten Vergleichsuntersuchungen nicht erprobt wurde, während offensichtlich ein technisch nicht vergleichbares HK416Bw, sowie Modelle anderer Hersteller beschafft und betrachtet wurden.5

Wiederum scheinen in diesem Zusammenhang die bereits in der HK-Pressemitteilung Nr. 5 genannten beiden WTD91-Handwaffenexperten eine zentrale Rolle gespielt zu haben, welche auch die sog. „Kunststofftheorie“ bzgl. des Gehäusewerkstoffs des G36 aufgestellt und verbreitet hatten:

So belegen Lieferpapiere, dass die WTD91 Mitte der 1990er Jahre nicht nur mehrere Erprobungswaffen HK50 bzw. G36 in der Variante MG36 erhalten hat, sondern sogar einen kompletten Zeichnungssatz dieser G36-Variante mit dickem Rohr.6 Aus HK-Unterlagen geht hervor, dass die WTD91 insgesamt mindestens acht Waffen vom Typ MG36 erhalten hat.

Die zentrale Frage lautet daher, ob diese beiden erfahrenen Mitarbeiter das MG36 und insbesondere den Umstand, dass diese G36-Variante ein dickes Rohr aufweist, welches beim Heißschießen physikalisch bedingt bessere Leistungsparameter bzgl. der Präzision aufweist, tatsächlich bei der jüngsten Versuchsplanung unerwähnt ließen. Noch viel drängender ist jedoch die Frage, warum die beiden besagten Experten das MG36 nicht in die neuesten Vergleichserprobungen einbezogen, obwohl es wissenschaftlich zwingend erforderlich gewesen wäre, die von diesen beiden Personen aufgestellte „Kunststofftheorie“ als alleinige Problemursache zu verifizieren, indem man das dickere Rohr des MG36 der bzw. den Einfluss der Rohrgeometrie bei identischem Waffengehäuse untersucht.

Insbesondere stellt sich die Frage, warum diese beiden Handwaffenexperten es mindestens zwischen Ende 2011 und Mitte 2014 unterließen, das MG36 zu erwähnen, in den HK bekannten Fachdiskussionen zu thematisieren oder gar zu erproben, während anhand von medial bekannt gewordenen Aussagen im Rahmen der Bundespressekonferenz nachweisbar ist, dass offensichtlich Waffen anderer Hersteller extra beschafft und zusammen mit dem technisch und taktisch nicht vergleichbaren leichten Maschinengewehr HK416Bw gegen das Standard-G36 erprobt worden sein müssen.

Beschusszyklen und Auswertungsmethoden offensichtlich willkürlich geändert

Aus den aktuellen zahlreichen Medienbeiträgen, in welchen von angeblich schlechten Treffleistungen des G36 im heißgeschossenen Zustand die Rede ist, muss zwingend abgeleitet werden, dass im Rahmen der jüngsten Untersuchungen offensichtlich erneut der Beschusszyklus geändert wurde, der für die Überprüfung der Treffleistung im heißgeschossenen Zustand zugrunde gelegt wird. 7

Erst vor drei Jahren -im März 2012 -war nach langen Diskussionen hierfür erstmals der sog. „Einsatznahe Beschusszyklus“ (EBZ) durch die Bundeswehr festgelegt worden, im Rahmen dessen das G36 unstreitig noch immer akzeptable Treffleistungen erzielte (Stand: Ende 2013).

Warum dann Ende 2014 offensichtlich erneut ein anderer Beschusszyklus definiert wurde, erschließt sich nicht. Da die medial verbreiteten Trefferergebnisse mit dem G36 in diesem neuen Szenario angeblich sehr schlecht gewesen sein sollen, muss der neue Beschusszyklus erheblich verschärft, insbesondere bzw. verkürzt worden sein.

Dies wirft die Frage auf, warum seitens der Bundeswehr dieser neue Beschusszyklus definiert wurde. Aus Medienberichten ist zwingend abzuleiten, dass diese neuen Erprobungsparameter auf angeblich neuen Forderungen der Truppe auf Basis der „heutigen Einsatzrealität“ beruhen sollen, wobei schlagwortartig insbesondere auf Afghanistan und das sog. Karfreitagsgefecht Bezug genommen wird.

Tatsächlich zeigt die Erfahrung unseres Hauses in der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr während nahezu 15 Jahren Afghanistan-Einsatz, dass die Bundeswehr in keiner Weise über ein einsatzbezogenes Berichtswesen verfügt, welches auch nur ansatzweise geeignet wäre, technische Parameter in einem derartigen Detailreichtum abzubilden, dass hieraus ein konkreter Beschusszyklus8 für eine Laborerprobung abgeleitet werden könnte. Abgesehen von der Qualität des Berichtswesens ist dies auch anhand der Lebens-bzw. Einsatzrealität in diesem Detailreichtum schlicht unmöglich, da logischerweise bzgl. dieser Detailparameter nahezu jedes Gefecht anders abläuft.

Somit ist von einer gezielten bzw. willkürlichen Verkürzung bzw. Verschärfung des Beschusszyklus auszugehen, mit der Zielsetzung, das G36 als unzureichend leistungsfähig darzustellen. Als dies nicht auf Anhieb gelang, nahm man die Sonderwaffe/leichtes Maschinengewehr HK416Bw mit extrem dickem und für ein Sturmgewehr atypischen Rohr in das Testprogramm auf, um dann die „Argumentation“ zu führen, dass für die angeblich neuen Forderungen der Truppe eine technisch realisierbare Lösung am Markt vorhanden sei.

Bemüht man einen sog. PKW-Vergleich, wäre dies ungefähr so, als wenn man „nachweisen“ würde, dass ein PS-starker handelsüblicher PKW „viel zu langsam“ sei, weil er ein Rennen gegen ein Formel1-Auto „verliert“.

Vergleichbarkeit der jüngsten Ergebnisse mit bisherigen Untersuchungen, sowie Vorgaben der Technischen Lieferbedingungen und Vorschriften der Bundeswehr unmöglich

Die aktuelle Medienberichterstattung vermittelt den Eindruck, ein G36 erbringe unter den angeblich „neuen Bedingungen“ keine einsatztaktisch akzeptablen Leistungen mehr.

Tatsächlich ist diese Aussage unzulässig bzw. aktuell technisch nicht nachprüfbar, da einer der Hauptstreitpunkte bzgl. der bisherigen Untersuchungen der WTD91 immer deren fehlende Vergleichbarkeit mit den technischen Lieferbedingung bzw. den Anschussbedingungen der Truppe war.

Während sich gemäß gültiger Dienstvorschrift der Bundeswehr9 mit einem in Nutzung befindlichen Gewehr G36 beim Anschuss auf 100m drei Schuss in einem 12cm Kreis befinden müssen, und hierbei auch noch bis zu drei Wiederholungsversuche zulässig sind, legte die WTD91 bisher ohne jede Deckung durch Bundeswehrvorschriften willkürlich den verschärften Maßstab fest, dass 10 Schuss (also mehr als dreimal so viele Schüsse wie die Vorschrift vorsieht) nach einem rechnerischen sog. D90-Verfahren ausgewertet werden, welches einen rein theoretischen Treffwert ergibt, welcher jedoch folglich nicht mit tatsächlich geschossenen Streukreisen verglichen werden kann.

Auch hat die WTD91 bei den HK seit 2011 durch das BAAINBw bruchstückhaft offiziell bekannt gewordenen G36-Versuchen zu keinem Zeitpunkt die gemäß Bundeswehr-Vorschrift vorgegebene Anschussvorrichtung für in Nutzung befindliche G36 verwendet, sondern einen nicht durch die Bundeswehr-Vorschriftenlage gedeckten Schießvorrichtung. Darüber hinaus hatte sich WTD91 als nationale Erprobungsstelle der Bundeswehr auch immer geweigert, die HK-Anschussvorrichtung zu verwenden, welche unter Aufsicht der Güteprüfstelle der Bundeswehr für die Werksabnahme der insgesamt ca. 178.000 G36 verwendet wurde.

Somit sind alle Treffergebnisse der WTD91, weder mit den Präzisionsvorgaben der technischen Lieferbedingungen für Neuwaffen G36, noch mit den rechtsgültigen Bundeswehrvorschriften der ZDv 3/12 für in Nutzung befindliche Waffen G36 vergleichbar.

Nachfolgend werden die einschlägigen Auszüge aus der ZDv 3/12 wiedergegeben:

 

BMVg verweigert Herausgabe des Berichts – Detailanalyse durch HK unmöglich

Aus dem medialen und politischen Raum wurde Heckler & Koch inzwischen mehrfach dazu aufgefordert, zu den Testverfahren bzw. –ergebnissen der jüngsten Erprobungen Stellung zu nehmen und den Dialog mit der Bundeswehr hierzu aufzunehmen.

HK begrüßt und teilt diesen Ansatz. Leider hat die Bundeswehr trotz mehrfacher persönlicher und öffentlicher Aufforderung bis heute mit Heckler & Koch keinen technischen Dialog zu den aktuellen Vorwürfen aufgenommen und die Überlassung des Berichts an Heckler & Koch trotz mehrfacher Bitten verweigert.

Pressestelle Heckler & Koch GmbH

1 Angabe ohne Magazin und Zweibein

2 Vgl. Ausführungen zum mutmaßlichen Test des HK416Bw in der HK-Pressemitteilung Nr.4 zum G36; sowie die öffentlich zugängliche Abbildung unten aus dem jüngsten Bundeswehr-Bericht.

3 http://augengeradeaus.net/2015/04/gesucht-wird-g36-vergleichswaffe-a-von-hecklerkoch/

4Vgl. Ausführungen in der HK-Pressemitteilung Nr. 4 zum G36

5 Vgl. Ausführungen des Regierungsvertreters Flosdorff im Rahmen der der Bundespressekonferenz vom 01.04.2015.

6 Vgl. HK-Lieferscheine bzgl. MG36-Waffen-und MG36-Zeichnungslieferungen vom 03.01.1994, 26.06.1995 und 02.11.1998

7 Vgl. u. a. „Süddeutsche Zeitung“ vom 19.04.2015, Artikel „Schneller Ersatz gefordert“, Zitat: „Der Untersuchung wurde ein Schießrhythmus zugrunde gelegt, wie ihn Bundeswehr-Soldaten anwenden könnten, wenn sie in einen Hinterhalt geraten.“

8 Exakte quantitative und zeitliche Verteilung von Einzelschüssen und kürzen Feuerstößen, sowie dazwischenliegende Feuerpausen etc..

SPARTANAT Berichte zum Thema G36:

G36 – eine Diffamierung

G36 – Das sagt Heckler & Koch

G36 – Das sagt die Bundeswehr