Die zum Skandal und sogar zur Affäre aufgeblasene Angelegenheit, um die angeblich un­zureichende Zielgenauigkeit des Sturmgewehrs G36 bei starker Erwärmung, kippt gerade zu Ungunsten von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihrem Ministerium. Der verzweifelte Versuch des BMVg den „Schwarzen Peter“ beim Hersteller der Waffen Heckler&Koch abzuladen und damit dem Unternehmen die Gesamtschuld an diesem un­sinnigen Spektakel anzulasten, wird daher nicht funktionieren. Trotz zahlreicher medien­wirksam installierter Untersuchungsgruppen, verliert das Ministerium mit dem Vorhaben das G36 zu diskreditieren zunehmend an Glaubwürdigkeit, meint SPARTANAT Autor Udo Lücken.

Ignorieren wir einmal die jahrelange und meist unsachliche Berichterstattung in den Medien, die von blühendem Halbwissen und gezielten Unwahrheiten durchsetzt war und deutlich das mangelhafte Technikverständnis der Berichterstatter erkennen ließ.

Ignorieren wir, dass sich verstärkt Soldaten, Reservisten und auch Polizisten aus dem In- und Ausland zu Wort melden, oft in den Kommentarleisten der etablierten Print- und Onlinemedien, um ihr Erstaunen über die pauschalen Vorwürfe auszudrücken und von ihren guten Einsatzerfahrungen mit dem Sturmgewehr G36 zu berichten. Einige bedankten sich in ihren Texten sogar ausdrücklich bei den Ingenieuren und Arbeitern von Heckler&Koch.

Ignorieren wir des Weiteren die Ignoranz des BMVg bezüglich der Tatsache, dass 1996 die Bundeswehr ein klar und umfänglich definiertes Sturmgewehr für seine Soldaten bestellt hat und auch genau dieses, in der Stückzahl 176.000, von Heckler&Koch geliefert wurde. Aus der Einsatztruppe hat es keine (echten) Mängelbeschwerden gegeben, die auch seriös einer Nachfrage standhalten würden. Meckern kann jeder.

Wer einen guten Kleinwagen für die tägliche Arbeit bestellt – bekommt natürlich keinen rasanten Sportwagen. Möchte er einen Sportwagen fahren – muss er auch einen Sportwagen- Preis bezahlen, da die Entwicklung und Produktion von solchen Autos sachgemäß sehr in­vestitionsintensiv und aufwendig ist.

Fakt ist, die Truppe soll langfristig ein neues Sturmgewehr bekommen. Die Ministerin sieht, aufbauend auf dem 372-seitigen Abschlussgutachten, keine Zukunft des G36 in der Bundeswehr.

Was bleibt ist die Kernfrage: … und was jetzt? Was kommt nach dem angebliche man­gelhaften G36? Wer kann, soll, will die Nachfolge antreten und wer bezahlt das Ganze? Es gibt weltweit nur eine Handvoll Unternehmen, die fachlich, produktionstechnisch und logistisch in der Lage wären den Sofortbedarf von zurzeit ca. 8.000 Stück für die Verbände in aktuellen Auslandseinsätzen, und später den verbleibenden Gesamtbedarf von weiteren etwa 170.000, zu bedienen. Alle haben ihren Hauptsitz in Europa und den USA.

G36 Alternative_2Hier bleibt eigentlich zum Thema Technikinnovationen nur anzumerken, dass der bri­tische und US-amerikanische Anbieter Enfield und Colt in den zurückliegenden Jahren bei Heckler&Koch mehrfach um Unterstützung bei der Beseitigung von erheblichen „Kinderkrankheiten“ ihrer Produktlinien angefragt haben. In zahlreichen so genannten „Over the Beach-Tests“ nach USSOCOM-Norm und anschließendem Belastungsschießen, konnten sich diese Anbieter bei internationalen Ausschreiben nicht nachhaltig gegen Vergleichswaffen von Heckler&Koch behaupten.

Bei den selbstbewusster werdenden Herstellern von Handwaffen in Süd- und Osteuropa haben diese meist neustrukturierten Unternehmen bei der Ausarbeitung und Entwicklung ihres neuartigen Produktportfolios gleich zu Beginn umfänglich auf die Unterstützung von Ingenieuren und Technikern aus dem Hause Heckler&Koch zurückgegriffen. Hier sind mit Firmen CZ (Česká zbrojovka) mit ihrer CZ 805 BREN Familie (Bild oben) aus Tschechien und dem Bullpup-Sturmgewehr VHS-2 von HS PRODUKT aus Kroatien zwei Vorreiter zu benennen. Das türkische Waffenunternehmen MKEK & Kalekalıp hat mit seinem neuen Sturmgewehr-Projekt MPT-76 auf der EUROSATORY-Messe in Paris gleichfalls Aufmerksamkeit erregt. Es ist seit Mitte Mai 2014 das Standartgewehr der türkischen Armee. Auch hier ist der große Einfluss aus Deutschland unverkennbar.

G36 Alternative_3Bleibt als Letztes Heckler&Koch selbst. Aktuell wären hier verfügbar das Modell HK416 im Kaliber 5,56mmm und sein großer Bruder HK417 mit Kaliber 7,62mm, welche ur­sprünglich für das US-Militär (DEVGRU, DELTA-Forces und andere), bzw. die US-Polizei/Grenzschutzkräfte vorgesehen waren und die Colt M4 Varianten ablösen sollen. Parallel wird bei Heckler&Koch in der Entwicklungsabteilung aber auch bereits an einem weiteren Sturmgewehr-Modell gearbeitet. Es soll in der finalen Entwicklungsphase sein, wird jedoch noch unter Verschluss gehalten.

In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob das Ministerium mit seinen zuarbei­tenden Unterabteilungen erneut wieder nur einen Kleinwagen (ohne Ersatzrad, Scheibenwischer und Frontscheibe) bestellt, obwohl die Einsatzrealität einen hochfliegenden Tiefseesportwagen dringend erforderlich macht.

Der Artikel erschien zuerst im Newsletter Verteidigung. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

SPARTANAT Berichte zum Thema G36:

G36 – eine Diffamierung

G36 – Das sagt Heckler & Koch

G36 – Das sagt die Bundeswehr

G36 – Heckler & Koch antwortet wieder

G36 – Lesen im Kaffeesud