Der Islamische Staat (IS) scheint inzwischen eine Tatsache zu sein, mit der man rechnen muss. Doch wie ist es dazu gekommen? Peter Nealen von SOFREP.com gibt uns einen kurzen Abriss einer Geschichte des Terrors, die mit al-Qaida im Zweistromland/Irak (AQI) beginnt und über Kämpfe und Spaltungen zum Islamischen Staat von heute führt.

al-Qaida im Irak ging im Jahr 2003 an den Start, ursprünglich unter dem Namen Dschama’at al Tawhid wal Dschihad (Gruppe für  Monotheismus und Heiligen Krieg). Ihr Gründer war Abu Musab al Zarkawi, ein Möchtegern-Mudschahid, der nach Afghanistan gelangte, als es bereits von den Sowjets verlassen worden war. Nachdem er nicht mehr am Dschihad gegen die Sowjets teilnehmen konnte, wandte er seine Aufmerksamkeit dem Umsturz im Königreich Jordanien, seinem Heimatland, zu, wo er eingesperrt wurde und erst im Rahmen einer Amnestie im Jahre 1999 wieder freigelassen wurde. Zarkawi ging sofort wieder nach Afghanistan und trainierte mit anderen Islamisten bei Herat, bis er in den Irak reiste, um sich dort Ansar al Islam anzuschließen.

Michael Ledeen hat in seinem Buch The Iranian Time Bomb Zarkawis Verbindungen sowohl mit al-Qaida wie auch mit dem Iran bereits 2002 aufgezeigt. Während Zarkawi’s Aktivitäten im Irak viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, gibt es wenier beachtete Gerichtsverfahren, die auf seine Aktivitäten und Agenten in Deutschland und Italien hinweisen. Die Tatsache, dass Ansar al Islam, eine Gruppe, die sich al-Qaida zugehörig fühlte, in Folge der US Invasion 2003 in den Iran absetzte, deutet durchaus darauf hin, dass die Mullahs al-Qaida punktuell unterstützt haben – zumindest gegen den Westen.

Im Oktober 2004 hat Zarkawi offen seinen Gefolgschaftseid auf Osama Bin Laden und al-Qaida abgelegt, gleichzeitig änderte sich der Name seiner Gruppe in al-Qaida im Irak (AQI). Einen Monat später stürmten US Marines die irakische Stadt Falludschah um die Elemente von AQI zu vernichten, die sich in der Stadt festgesetzt hatten. Die Mehrheit der Führung konnte dem Angriff allerdings entkommen.

Die Taktik von AQI hat sich weniger an klassischen Guerillaangriffen orientiert, bei denen mit leichten Waffen oder auch indirekt das Feuer auf US und irakische Kräfte eröffnet würde, sondern vielmehr an Selbstmordattentaten, die möglichst großen Schaden anrichten sollten. Auch wenn AQI durchaus US Kräfte attackiert hat, nahm sie immer mehr schiitische Iraker ins Visier, ein Trend, der sogar bei der Führung von al-Qaida Besorgnis auslöste.

Im Juli 2005 hat Zarkawi einen Brief an Osama bin Ladens Stellvertreter Ayman al Zawahiri geschickt, in dem er seine Strategie für den Irak beschrieb. Er erwähnt zwar, dass man versuchen müsse die US- und Koalitionskräfte aus dem Land zu treiben und die Scharia als Gesetz zu etablieren. Doch die Masse des Briefes ist eine Tirade gegen die Schiiten und jene Sunniten, die nicht bereit sind sich an der Seite von Zarkawis Hardlinern selbst zu opfern. (Er bezeichnet zum Beispiel die Scheichs als „Sufis“ —diese werden sowohl von Schiiten wie auch Sunniten als Ketzer gesehen —um sie so verächtlich zu machen, weil sie seinen blutigen Dschihad nicht befürworteten.) Zarkawi empfiehlt Schläge gegen die Schiiten als einen der wichtigsten Schritt „um die muslimische Nation in den Kampf zu ziehen.”

In den folgenden Monaten übernahm AQI zunehmend öfter die Verantwortung für schwere Anschläge und Entführungen. al-Qaida im Irak wurde auch verdächtigt hinter Anschlägen mit Chlorbomben zu stehen, die 2006-2007 verübt wurden. Zunehmend zielten ihre Aktivitäten darauf ab, möglichst viele Schiiten zu töten. Auf Zarkawis Brief kam eine Antwort von Ayman al Zawahiri, die ihn aufforderderte die Schiiten nicht zum Angriffsziel zu machen, weil man die islimische Ummah gegen die Ungläubigen vereinen müsse. Zarkawi ignorierte dieses Anschreiben, was zum Bruch zwischen der Zentrale von al-Qaida und ihrer irakischen Unterabteilung führte, zumindest bis zum Tod Zarkawis bei einem Luftangriff 2006.

Im Jänner des gleichen Jahres hatte Zarkawi den Mudschahedin Shura Rat als Dachverband für die sunnitischen Dschihadisten im Irak gegründet. Zarkawis Netzwerk war da bereits die Anlaufstelle für die meisten Möchtegern-Mudschahedin, die ins Land kamen. Er hatte auch das weitreichendste Netzwerk von alle Organisationen im irakischen „Widerstand“. al-Qaida im Irak übernahm im weiteren unter dem Namen Mudschahedin Shura Rat Verantwortung für alle Aktionen bis Oktober, als Abu Ayyub al Masri den Islamischen Staat im Irak (ISI) ausrief. Das wurde der neue Dachverband mehrerer Organisationen und AQI bekannte sich ab nun zu seinen Taten unter dem Namen ISI.

ISI berief sich darauf, dass ihr einige aufständische Gruppen angehören, zusätzlich zu AQI etwa Dscheish al-Fatiheen, Jund al-Sahaba, Katbiyan Ansar Al-Tawhid wal Sunnah und Dschaysh al Taiifa al Mansoura. Sie alle gehören zu jenen Gruppen, die unter den Überbegriff „Islamischer Staat im Irak“ fallen.

2007 etwa hat ISI de facto den Dora Bezirk im südlichen Bagdad übernommen, ein strenges Shariarecht eingeführt und die Assyrischen Christen vertrieben, die sich weigerten die „jizya“ zu zahlen, die Steuer, die alle Nichtmuslime entrichten müssen, die unter der Herrschaft von Muslimen leben. Am Ende des Jahres wurde ISI zwar von den Koalitionsstreitkräften vertrieben, gleichzeitig konnten einige der Kirchen wieder geöffnet werden, aber viele der Assyrischen Christen kamen nicht mehr zurück.

Als die irakische Regierung mehr und mehr unter die Kontrolle der schiitischen Mehrheit gelangte, setze ISI seine Bombenkampagne in Bagdad und Basra intensiv fort und nahm dabei vor allem schiitische Nachbarschaften und Moscheen ins Visier. 2009 fingen die US-Kräfte an sich aus den wichtigeren Städten zurückzuziehen, dabei erreichte die Attacken einen Höhepunkt, als AQI einen Aufstand gegen die irakischen Sicherheitskräfte versuchte. Sie mussten schwere Verluste hinnehmen, besonders ihre Führung, als sowohl Abu Ayyub al Masri wie auch Abu Abdullah al Rashid al Baghdadi im Jahr 2010 getötet wurden. General Odierno deklamierte, dass al-Qaida im Irak nun gebrochen und gleichzeitig von der eigentlichen Führung  der Qaida in Pakistan abgeschnitten sei.

Um diese Zeit übernahm Abu Dua, aka Abu Bakr al Baghdadi. Sein echter Name lautet Ibrahim Awwad Ibrahim Ali al Badri. Er ist heute der Führer des Islamischen Staates  und auf ihn ist ein 10 Millionen Dollar Kopfgeld ausgesetzt. Nur Zawahiri wird teurer belohnt für jede Information, die zu seinem Tod oder zur Gefangennahme führen.

Nach dem Rückzug der US Streitkräfte aus dem Irak 2012, konnte sich der ISI erholen. Mit dem sofort feststellbaren Effekt von massiven Angriffen währen der Provinzwahlen April 2013. Innerhalb einer Woche wurden an die 120 Menschen getötet. Der Islamische Staat im Irak hat gezeigt, dass er die irakischen Sicherheitskräfte ungestraft herausfordern konnte.

Als die al-Nusra Front im syrischen Bürgerkrieg des späten Jahres 2012 immer wichtiger wurde, vermuteten Experten sowohl wegen der Taktiken wie der wegen der Methoden, dass sie irgendwie mit dem Islamischen Staat im Irak verbandelt sein könnte. Dieser Verdacht war wohl begründet, immerhin hat al-Baghdadi öffentlich erklärt, dass ISI die al-Nusra finanziell und organisatorisch von Anfang an unterstützt hätten. Doch das war nicht genug für al-Baghdadi. Er erklärte, dass ISI und al-Nusra nicht mehr zwei verschiedene Gruppen wären, sondern jetzt unter dem gemeinsamen Banner des Islamischen Staates im Irak und Sham (ISIS) oder auch des Islamischen Staates im Irak und in der Levante (ISIL) stünden. al Baghdadi verkündete nicht nur diesen Zusammenschluss, sondern reiste nach Aleppo in Syrien, um dort die Büros der ISIS zu eröffnen. Der Emir von al-Nusra, Abu Muhammed al-Dschulani, lehnt die Gründung dieser neuen Organisation ab, und legte statt dessen seinen Gefolgschaftseid auf Ayman al-Zawahiri ab. Zawahiri bestimmte also theoretisch über zwei verschiedene Einheiten, aber al-Baghdadi, genauso wie sein Vorgänger Zarkawi, lehnte die Bevormundung durch diesen Emir ab.

 

Die internationalen Kämpfer von al-Nusra haben sich daraufhin weitgehend ISIS angeschlossen. ISIS selbst hat sich in Syrien sehr schnell damit unbeliebt gemacht, dass sie andere Oppostionsgruppen angreifen (Kommandanten mit Selbstmordattentätern töten, Waffen des Gegners übernehmen), so sehr, dass sich die Oppostion zur Offensive gegen ISIS entschlossen hat. Im Mai 2013 eroberte ISIS von al-Nusra die syrische Stadt Rakka, die inzwischen die Hauptstadt des Islamischen Staates ist. Mit der Offensive im Irak erklärte sich al-Baghdadi zum Kalifen. Er ist nun der „Führer der Gläubigen“ und eines Staates, nicht mehr ein Milizenführer. Die Stärke, die ISIS, nunmehr als Islamischer Staat (IS) zeigt, führt ihnen viele neue Kämpfer zu, lokal aber auch international.

PETER NEALEN ist ein ehemaliger Reconnaissance Marine und Irak- und Afghanistan-Veteran. Der Artikel ist zuerst im US-amerikanischen Special Operations Netzwerk SOFREP.com erschienen.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von SOFREP.com