Kaum einem Begriff wird seit geraumer Zeit im Bereich der Bundeswehr, Behörden aber auch ziviler Rettungsdienste soviel Aufmerksamkeit geschenkt, wie der Taktischen Medizin oder anders genannt, dem TCCC.

Woher kommt dieses gesteigerte Interesse an medizinischen Vorgehensweisen? Medizin war bis dato ja eher nachgeordneter Schwerpunkt für Einsatzkräfte und Operator. Ist es die veränderte Sicherheitslage in Europa, in Deutschland mit der Notwendigkeit sich des Themas Versorgung realer Verletzter oder Verwundeter intensiver anzunehmen?

Dies mag sicher ein Grund dafür sein, dass TCCC und/oder Taktische Medizin auch mediale Aufmerksamkeit bekommen.

Operation Irene – Schlacht von Mogadischu

Dies war aber nicht immer so, denn der Begriff des TCCC stammt bereits aus den 1990er Jahren, genauer gesagt aus dem Jahr 1996. In diesem Jahr veröffentlichen die amerikanischen Militärärzte Captain Frank K. Butler (USN SEAL), Lieutenant Colonel J. Hagmann die ersten Schriftstücke zur Verwundetenversorgung auf dem modernen Gefechtsfeld. Basierend auf den dramatischen Erfahrungen von US Spezialkräften während der Operation Irene in Mogadischu/Somalia am 3. und 4. Oktober 1993. Ein Ereignis, das als Schlacht von Mogadischu in die Geschichte einging und der Verfilmung im Film „Blackhawk down“ weltberühmt wurde. Die negativen Erfahrungen bei der Versorgung Verwundeter während dieses Einsatzes führten zu den ersten Überlegungen des TCCC. Diese ursprünglich rein militärischen Überlegungen wurden 1999 in bereits vorhandene zivile Richtlinien, sogenannten Guidelines des PHTLS (Prae hospital trauma life support) übernommen. Zu Beginn noch unter dem Zusatz „Military Edition“. Das war quasi die Geburtsphase dieser neuen Taktischen Medizin.

Über Jahre hinweg entwickelte sich das TCCC Programm weiter. Ein Komitee, das sogenannte coTCCC, bestehend aus einer großen Zahl internationaler Militärärzte und Sanitätern passt diese Guidelines jährlich an die veränderte Situation weltweit an. Hierbei geht es bei der jeweiligen Anpassung meist um Materialien oder medizinische Themen für und bei der Versorgung Verwundeter.

Zivile, internationale Organisationen aus Polizei, Sicherheitsdiensten aber inzwischen auch Rettungsdiensten, passten ihre Versorgungsrichtlinien den militärischen Vorgaben an, adaptierten diese jedoch häufig an ihren individuellen Bedingungen oder nationalen Rechtsgrundlagen. In Deutschland wurden dafür eigene Begriffe geschaffen. So entstanden TVV (Taktische Verwundetenversorgung), welches beim Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr genutzt wird, sowie TECC (Tactical Emergency Casualty Care) für Polizei und Rettungsdienste.

Phasen des TCCC

Gleich welcher Name für die Vorgehensweise genutzt wird, die Grundphilosophie der Versorgungsphasen blieb seit 1996 unverändert.

So wird im TCCC von 3 Phasen der Versorgung gesprochen.

1.     Care under Fire

2.     Tactical Field Care

3.     Tactical Evacuation Care

Care under Fire (CUF)

Ausgehend von unterschiedlichen Bedrohungslagen für Miliär oder Polizei kann das taktische Vorgehen in dieser Phase sehr unterschiedlich aussehen. So werden bei Schusswechsel mit Handwaffen andere Maßstäbe gelten als bei Bedrohung durch hochexplosive Sprengstoffe in Form einer Autobombe oder Beschuss durch Artillerie. Was bleibt ist der Umstand, dass eine akute Bedrohungslage vorliegt und medizinische Belange den taktischen Vorgaben nach oder untergeordnet werden. Es gilt die Gefahr abzuwehren oder den Gefahrenort zu verlassen. Der aus den TCCC Guidelines entnommene Leitsatz zeigt klar auf was damit gemeint ist. “Die beste Medizin in der Phase Care under Fire ist Feuerüberlegenheit”, Original:  “fire superiority is the best medicine on the battlefield”

Neben diesen taktischen Aspekten gilt es jedoch auch schon in dieser Phase das Leben des oder der Verwundeten zu retten. Dazu wurde basierend auf den statistischen Auswertungen vergangener Kriege festgelegt, welche Verwundungen zu den vermeidbaren Todesursachen auf dem Gefechtsfeld gehören.

In der Phase Care under Fire kann trotz möglicher anhaltender Kampfhandlungen oder der Evakuierung eines oder mehrerer Verwundeter, bereits durch einfache blutstillende Maßnahmen die Überlebenschance eines Verwundeten deutlich verbessert werden. Dazu wurde eine Aderpresse, das sog. Tourniquet (frz. Drehkreuz) entwickelt und in nahezu alle Bereiche von Sicherheitsorganen eingeführt. Die Anlage eines solchen Tourniquets an den Extremitäten kann den hämorragischen Schock und den daraus resultierenden Verblutungstod verhindern. Personal das auch unter Stress gut an diesem Material ausgebildet wurde, kann dieses schnell und effektiv anlegen und somit auch in dieser Extremsituation Leben retten.

Weitere medizinische Maßnahmen sind in dieser ersten Phase gemäß der bestehenden Guidelines nicht vorgesehen, da meist zu zeitintensiv oder aufwendig.

Tactical Field Care (TFC)

Ist der erste „Feinddruck“ genommen oder ein gesicherter Bereich erreicht, kann unter Berücksichtigung notwendiger weiterer taktischen Maßnahmen, wie Sicherung oder Meldung, begonnen werden, medizinische Untersuchungen an Verwundeten durchzuführen. Hierzu sollte das dafür eingesetzte Personal an der Vorgehensweise eines Algorithmus geschult sein. Gebräuchlich sind hierbei die Vorgehensweisen nach den Prinzipien des MARCH oder cABCDE. Beides sind Akronyme, wobei jeder Buchstabe für eine medizinische Maßnahme steht.

Wichtig hierbei ist, trotz einer vermeintlich sicheren Lage nicht Notfallmedizin der zivilen individuellen Maximalversorgung zu beginnen. Eine Phase TFC kann auf Grund sich ändernder Parameter schnell wieder zu CUF , also einer akuten Bedrohungslage werden.

Tactical Evacuation Care (TEC)

Ziel der Taktischen Medizin ist es stets, einen Verwundeten schnellsmöglich in eine medizinische Behandlungseinrichtung zu übergeben. Dies kann ein Rettungszentrum/Einsatzlazarett im Einsatzland oder ein Krankenhaus im Inland sein. Die bisher getroffenen Maßnahmen dienen ausschließlich dazu, alles zu tun um einen, auch schwerstverwundeten Patienten überhaupt lebend dort hin zu bekommen. Das Zusammenspiel dabei zwischen Kräften in der Sicherung und Kräften in der medizinischen Erstbehandlung, unter Führung des jeweiligen taktische Einsatzleiters oder militärischen Führers ist die große Herausforderung. Der 9 Line Medevac, der standartisierte Funkallgorythmus ist wesentlicher Bestandteil zur Vorbereitung dieser Transportphase.

Für diese Transportphase selbst ist es primär unerheblich welche Art von Transportmittel dafür zur Verfügung stehen. Idealer Weise ist dies natürlich der intensivmedizinisch ausgestattete Rettungshubschrauber. Dieser steht gerade in zivilen, polizeidienstlichen Lagen nicht unmittelbar nahe eines potentiellen Gefahrenbereichs zur Verfügung, anders als der militärische Rettungshubschrauber nach der Vorgehensweise des Forward Air Medevac (FAM), also der Verwundetenevakuierung vom Ort des Geschehens, der sog. Hot Zone/Red Zone weg.

Das zuvor genannte Zusammenspiel zwischen allen Einsatzkräften ist noch einmal auf das höchste gefordert, da gerade solche Momente gerne von der gegnerischen Seite genutzt werden um erneut anzugreifen. Beispiele von beschossenenen Rettungshubschraubern in Afghanistan gibt es so einige.

Zusammenfassung

Die Sanitätsdienstliche Versorgung Verletzter und Verwundeter hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Erfahrungen aus internationalen Einsätzen verbündeter aber auch eigener Einsatzkräfte haben die Notwendigkeit dafür erkennen lassen.

Wichtig ist es nun nicht auszuruhen, sondern das bisher erlangte Wissen auch in einer vermeindlich ruhigen Zeit stets zu vertiefen und in die praktische Ausbildung aller Einsatzkräfte mit einzubeziehen. Keine Taktik ohne Medizin und keine Medizin ohne Taktik.

Darüber hinaus ist es Aufgabe aller Vorgesetzten, die Einsatzkräfte selbst nicht allein zu lassen, sondern ihnen Raum und Mittel zu geben, um ständig zu üben. Material auszuliefern ohne das Personal daran auszubilden ist auch für den Umgang mit scheinbar einfachen medizinischen Materialien unprofessionell und sträflich. Negativstatistiken bei der Evaluierung von mangelhaft angelegten Tourniquets, auch bei Spezialkräften beweisen das.

Trotz alle der genannten Bemühungen im Vorfeld und auch während eines möglichen Einsatzes gilt es stets sich bewusst zu machen, dass nicht alle Einsätze mit Erfolg gekrönt sind. Die mentale Vorbereitung auf solche Szenarien gehört ebenfalls zu einem guten Einsatztraining. 

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