Wiebke Köhler ist eine Top-Managementberaterin, sie macht die Erfahrung Entführung bei einem Training der H.E.A.T. Akademie in Mosbach, Baden-Württemberg – HIER der erste Teil des Artikels. HEAT steht für Hostile Environment Awareness Training. Der Name hält, was er verspricht. Heute der zweite Teil ihres Erlebnis- und Erfahrungsberichtes:

Gefangen und entführt

Ohne ein Wort zu sagen, dreht der Terrorist mich auf den Rücken. Er legt meine Hände übereinander – und schon spüre ich den Kabelbinder, mit dem meine Hände gefesselt sind. Jetzt liege ich wehrlos auf dem Rücken mitten auf der Straße. Ich höre in der Ferne Schüsse, es ist tierisch laut. Daher höre ich die verschiedenen Entführer nicht, merke nur, dass immer wieder welche an mir vorbeilaufen. Aber ich habe keine Ahnung, wie viele es sind, mein Puls ist so hoch, als ob ich sprinten würde.

Dann höre ich Hundegebell. Klingt nach Schäferhund. Klingt ganz schön nah. Offenbar steht einer der Entführer direkt neben mir. Sein Hund jedenfalls bellt mir direkt ins Ohr. Das lässt mich unwillkürlich zusammenfahren. „Wenn das echt wäre, würde der sicher zuschnappen“, denke ich. Ich mag Hunde – aber das „Was wäre, wenn“ lässt das Kopfkino anspringen, wenn du wehrlos auf dem Boden liegst. Das ist ein unbehagliches Gefühl. Das möchtest du nicht.

Der Entführer und sein Hund entfernen sich. Dafür brüllt jetzt irgendwer auf Arabisch herum. Es bleibt hektisch. Dann tritt mir jemand gegen den Fuß. Durch den Sandsack erkenne ich nur Schat- ten. Und ich höre nichts von den anderen. Ich bin aber auch so beschäftigt mit meiner eigenen Lage, dass ich nicht zu lange an die anderen aus der Gruppe denke.

Mein Puls hämmert, mein Atem geht viel zu schnell. Es ist heiß, und unter dem Sack bekomme ich kaum Luft. Dazu pumpt mein Herz wie wild. Was hat der Psychologe gestern noch gleich gesagt, wie man den Puls runter bekommt? Ruhig atmen. 3 Sekunden einatmen, 3 Sekunden halten, 3 Sekunden ausatmen. Das probiere ich eine Minute lang. So richtig hilft das nicht. Ich bin einfach zu aufgeregt und habe diese Atmung vorab nicht lange genug trainieren können.

So heftig mein Herz auch schlägt, kann ich mir ein gewisses Maß professioneller Bewunderung nicht verkneifen: Die ganze Entführung wirkt auf mich hoch professionell. Das hatten wir am Vortag noch besprochen. Nämlich die Frage, ob es sich bei den Geiselnehmern um Amateure oder Profis handelt, ob das geplant oder zufällig abläuft. Ich denke: „Das war geplant. Das sind Profis.“ Hoch aggressiv nehme ich den oder die Entführer zwar nicht wahr, aber jederzeit bereit zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Sehr nachdrücklich und keinen Widerspruch duldend. Im echten Leben hätten echte Entführer sicher auch nicht vor Gewalt zurückgeschreckt.

Der Transport

Dann höre ich Autos vorfahren. Autotüren schlagen zu. Plötzlich steht wieder jemand vor mir, zieht an meinen Händen. Offensichtlich soll ich aufstehen. Das ist gar nicht so leicht, wenn man nichts sieht und die Hände nicht zum Abstützen hat. Ein weiterer Entführer ist hinter mir und greift unter meine Achseln. So werde ich hochgehievt, wie ein Sack Reis – jedenfalls fühlt es sich so an.

Schon greift einer der Entführer meinen linken Arm und drückt ihn weit nach hinten. Seine andere Hand greift meinen Nacken und drückt mich in eine gebückte Haltung nach vorne. Ich kann mich nicht bewegen, so fest hält er mich gepackt.

Ich werde vorwärts gestoßen. Ich gehe zögerlich, sehe absolut nichts. Er geht schnell und schleppt mich unerbittlich mit.

Ich höre, wie eine Autotür geöffnet wird. Da werde ich auch schon ins Auto geschoben, ich realisiere überhaupt nicht wo, ob vorne, hinten oder gar im Kofferraum. Ich habe nur damit zu kämpfen, dass mein Kopf nicht irgendwo anstößt, dass ich Luft bekomme und meine Füße mit reinkommen. Schon schlägt die Tür zu.

In der einen Sekunde, die es dauert, bis die Fahrertür aufgeht, merke ich: Ich liege auf der Rückbank. Zum Glück ist der Sandsack ein kleines bisschen hochgerutscht, so dass ich endlich besser Luft bekomme. Auch erhasche ich einen Blick nach draußen. Ich weiß jetzt, dass ich in einem Auto transportiert werde. Ich sehe aber nur Baumspitzen an mir vorbeirauschen. Wohin es geht, ist nicht zu sehen.

Ich kann nicht erkennen, ob nur der Fahrer im Auto sitzt oder sonst noch jemand. Auch habe ich Sorge, dass ich zu viele Bewegungen machen könnte, wenn ich meinen Kopf verrenke, um besser zu sehen. Also bleibe ich still liegen und bin erleichtert, dass ich wieder besser atmen kann. Es sind die kleinen Freuden, die auch so eine Lage besser machen.

Nach kurzer Fahrt stoppt das Auto. Der Fahrer springt raus, öffnet die hintere Tür – und zack, schon wird an meinen Beinen gezogen. Ziemlich nachdrücklich. Kaum stehe ich, wird mein linker Arm wieder festgehalten, eine kräftige Hand wandert wieder in meinen Nacken. Ich werde nach vorne gedrückt und zum Mitgehen gezwungen. Treppen rauf, dann geradeaus. Es stoppt. Mein Gefühl sagt, ich bin noch im Freien. Meine Arme werden hochgehoben und an eine Wand gelehnt, über meinem Kopf, meine Füße werden weit weg von der Wand platziert, so dass zu viel von meinem Körpergewicht auf meinen hoch erhobenen Händen und ausgestreckten Armen lastet. Ziemlich unbequem, wie mir schnell klar wird. Unbequem und volle Absicht meiner Entführer. Das ist kein Club-Urlaub!

So stehe ich mindestens zehn Minuten da, bis mir die Oberarme anfangen zu zittern. „Lange kann ich die so nicht mehr halten“, denke ich. Ich lasse die Arme ein wenig absinken. Sofort werden sie nachdrücklich wieder hochgeschoben. „Oha“, denke ich, „ich hatte nicht mal gemerkt, dass jemand hinter mir steht.“ Ganz schön verstörender Gedanke.

Dann höre ich auf einmal jemanden, der mit seinem Kopf ganz dicht an meinem Ohr ist. Er sagt nichts. Er – schnüffelt! „Hat der eine Macke“, denke ich. Aber: Gehört alles zur Taktik. Geisel einschüchtern, klarmachen, dass auch sexuelle Übergriffe jederzeit stattfinden könnten. Zeigen, wer hier der Chef ist. Bringt mich aber nicht aus dem Konzept.

Dann nimmt plötzlich jemand meine Arme runter und macht irgendwas mit den Kabelbindern. Ich habe das Gefühl, jetzt sitzen sie besser, nicht mehr ganz so eng. Gut so! Hinterher erklären uns die Trainer, dass das der Sanitäter war, der bei allen den Sitz der Kabelbinder überprüfte.

Und zack, da kommt schon wieder jemand, der mich mit bewährtem Griff abführt. Wohin, kann ich nicht sehen. Und keiner sagt ein Wort, was für sich genommen bereits beunruhigt. Ich werde in etwas hineingeführt, was sich metallisch anhört. Könnte ein Container sein. Da werde ich an die Wand gestellt und soll mich auf den Bodensetzen. Ich denke nur: „Hoffentlich machen die die Containertür nicht zu!“

Gefangenschaft

Ich weiß nicht, wie viele Minuten seit dem Überfall vergangen sind. Mir kommt es ewig vor, dass ich das letzte Mal etwas gesagt habe. Mir ist sehr heiß, mein Puls geht nach wie vor zu schnell, alles ist anstrengend. Und dann die blöden Haare im Gesicht. Das Atmen fällt schwer. Ich versuche, mich runterzubeamen.

Ständig patrouilliert jemand vor mir vorbei. Es sind definitiv mehrere Entführer, die auch ab und an gegen meine Füße treten, damit ich nicht auf dumme Gedanken komme. Als ob das meine größte Sorge wäre! Wenigstens habe ich eine halbwegs entspannte Sitzposition an der Wand mit aufgestellten Beinen.

Da höre ich ein Husten. Ich dachte bislang, ich sitze hier mutterseelenalleine. Jetzt erst bemerke ich, dass da andere Geiseln sein müssen, meine anderen Kollegen. „Kam das von meinen Teammitgliedern?“, frage ich mich. Mich durchflutet Erleichterung. Ich bin nicht allein, die anderen sind auch da. Aber da wir nicht sprechen dürfen, gibt es keine Möglichkeit, sich zu verständigen. „Clever“, denke ich, „dass da einer hustet. So weiß ich jetzt wenigstens Bescheid.“

Durch den Sandsack sehe ich nur Konturen, doch ich behalte den Blick immer in Richtung der Containeröffnung, um wenigstens halbwegs abschätzen zu können, ob jemand kommt. Aber plötzlich kommt jemand von links und schnüffelt wieder an mir. Hinterher erfahre ich, dass die „Entführer“ das auch mit den Männern in der Gruppe gemacht haben. Das gehört zu den Mitteln der dunklen Seite der Psychologie, ist kalkuliertes Machtgehabe, ein Power Move, der selbst dann seine einschüchternde Wirkung nicht verfehlt, wenn man ahnt oder weiß, dass Entführer solche Machtspielchen spielen. Paul Watzlawick, den viele von der „Anleitung zum Unglücklichsein“ kennen, nannte dieses Power Game „One up – one down“. Wer einen anderen erniedrigt, stellt sich automatisch über ihn und schlägt so zwei Fliegen mit einer Klappe.

Insgesamt aber bin ich mental gefasster, als man den Umständen nach vermuten dürfte. Eine leise Zufriedenheit steigt in mir hoch. Ich bin ganz schön stress-resistent! Die Schnüffelei macht mir wenig; Watzlawick kann mich mal. Auch der durchdringend tiefe Brumm-Ton, den die Entführer über Lautsprecher aufgedreht haben und der manche meiner Kollegen in den Wahnsinn trieb, wie ich danach erfahre, beruhigt mich eher. Dann höre ich, wie Entführer nicht nur vor mir auf und ab gehen – offenbar ist auch jemand auf dem Dach des Containers und geht dort hin und her. Stört mich alles nicht. Ich blende das aus, behalte nur den Eingang mit seinen Licht- und-Schattenspielen im Blick.

Ich konzentriere mich darauf, meine Atmung zu kontrollieren. In Gedanken versuche ich wieder die Atemübung. Die gelingt mir auch beim zweiten Anlauf nicht so richtig. Von daher fange ich in Gedanken an, Schach zu spielen, meine mentale Coping Strategy. Das mache ich sowieso jeden Abend, also erinnere ich mich an ein paar Aufstellungen und spiele gedanklich einige Züge durch.

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich dort sitze. Plötzlich höre ich Autos vorfahren. Da geht es auch schon wieder los.

David gegen Goliath

Jemand zerrt an meinen Armen und zieht mich hoch. In dem mir schon bekannten Griff werde ich unerbittlich und für mich viel zu schnell vorangestoßen, wahrscheinlich in Richtung Auto. Wieder werde ich auf die Rückbank geschmissen. Und wieder ist die Autofahrt eine Erleichterung, weil ich ein ganz wenig sehe und besser atmen kann. Atmen durch den Sandsack – das liebste Geisel-Hobby.

Bei Ankunft das gleiche Procedere wie vorhin. Mein ganz persönlicher Entführer stößt mich aus dem Auto und voran. Wohin, keine Ahnung. Meine Orientierung ist jetzt völlig weg.

Irgendwann hält er an. Ich merke: Hier ist es stickig und heiß. Ich werde mit dem Gesicht vor eine Wand gestellt, die sich nach Beton anfühlt. Jemand löst den Kabelbinder und nimmt meine Hände wieder hoch, sie werden über meinen Kopf an die Wand gelehnt. Meine Beine werden mir von hinten auseinander und nach hinten getreten, so dass ich in einem krassen Winkel zur Wand stehe. Anstrengend, schon nach kurzer Zeit! Hinterher, im Video, bei der Aufarbeitung sehe ich: Dieser Raum ist voller Terroristen. Jetzt geht das Mental Game so richtig los.

Ich versuche, mich an die Regeln der Geiselnehmer zu halten. Nicht so sehr, um ihnen gemäß Stockholm-Syndrom zu gefallen, sondern um ihnen zu beweisen, dass sie mich nicht so schnell klein kriegen. Der Psychologe erklärt mir später, dass es vielleicht auch gut gewesen wäre, nicht so lange durchzuhalten. Das hätte zwar möglicherweise (zumindest im echten Fall) eine Bestrafung nach sich gezogen, aber: Geiselnehmer wollen Kontrolle über ihre Geiseln und ihnen die Kraft rauben. Wenn ich also so tue, als könne ich nicht mehr, obwohl ich noch Kraft habe, würde ich ein wenig Kraft aufsparen können. Das wusste ich in diesem Keller aber noch nicht. Stattdessen werde ich ein wenig bockig und denke: „Ihr könnt mich alle mal. Ich halte mich jetzt stur an eure doofen Regeln, weil ich mich euch nicht ausliefern werde, weil ich vor euch keine Schwäche zeigen werde.“ Trotzdem kann ich mir ein kleines Spielchen nicht verkneifen.

Hin und wieder lasse ich meine Arme leicht sinken, was jedes Mal prompt zur selben Reaktion der Geiselnehmer führt: Einer stürzt herbei und schiebt sofort meine Arme wieder nach oben. So geht das eine Weile. Mir ist unerträglich heiß. Es ist brutal anstrengend, in dieser Position zu stehen. Und ich kriege echt schlecht Luft unter diesem blöden Sack. Damit habe ich am meisten zu kämpfen.

Nicht allein

Um mich zu beruhigen, singe ich in Gedanken ein lustiges Lied von einem englischen Fallschirmspringer, in allen Strophen, die mir bekannt sind. Ich wusste gar nicht, dass ich die noch alle kannte, das Lied hatte ich vor 20 Jahren zum letzten Mal gesungen. Das lässt mich im Geiste schmunzeln und beruhigt mich.

Nun merke ich, dass die anderen Geiseln auch da sind. Ich höre sowohl rechts als auch links jemanden neben mir.

Und da, auf einmal, gelingt Körperkontakt. Die Körperposition wurde von den Entführern immer mal wieder verändert. So stand ich zu einem Zeitpunkt mit dem Rücken zur Wand. Dabei musste ich die Hände mit der Handfläche jeweils links und rechts von mir flach auf der Wand halten, den Rücken an der Wand, die Füße weit vor. Und da passierte es – links neben mir spüre ich andere Finger. Ich greife danach und drücke kurz zu. Kurzes Drücken zurück. Klasse, denke ich, wir sind zusammen!

Es ist totenstill. Noch immer bin ich mental gut drauf. Mir wird es nur körperlich langsam anstrengend.

Da kommt jemand und fängt an, mich zu durchsuchen. Ich werde nachdrücklich abgetastet. Der Body Check! Und zwar in Totenstille. Meine Uhr verschwindet, mein Schlüssel aus der Hosentasche, mein Oberkörper, der Unterkörper, alles wird angefasst. „Wie am Flughafen, alles wie immer“, denke ich. Stresst mich kein bisschen. Hinterher erfahre ich, dass eine Geiselnehmerin den Body Check bei den Frauen in der Gruppe machte.

„Ob die hier auch eine Vergewaltigung simulieren?“, frage ich mich unwillkürlich. Ich erinnere mich, dass der Psychologe am Vortag berichtet hat, dass dies zu gleichen Teilen Männern wie Frauen in solchen Situationen angetan werden kann. Weil es nicht um Sex oder Lust geht, sondern um Macht, Kontrolle und Erniedrigung. Ich wappne mich mental, denke aber, dass die das in dieser Übung wohl nicht machen werden.

Ich werde wieder zurück zur Wand gedreht. Dann wird der Sack ein wenig angehoben, mir wird ein Becher Wasser an die Lippen gehalten. Wieder geht mir durch den Kopf, was der Psychologe am Vortag empfohlen hat: „Wenn ihr trinken könnt, trinkt. Wenn ihr essen könnt, esst!“ Ich weiß nicht, ob Gift im Wasser ist (wovor der Psychologe warnte), aber egal – ich habe Durst und trinke. Dann sage ich: „Thank you!“, was mir ein „Shut up!“ von der Wache einbringt, was mich unterm Sandsack zum Schmunzeln bringt. Auch Brüllerei wird in endloser Wiederholung irgendwann öde.

Ständig patrouillieren Entführer an mir vorbei. Einer von ihnen macht während seines Auf- und Abgehens die ganze Zeit das gleiche Geräusch mit seinem Feuerzeug, einem Zippo, das charakteristisch metallisch klackert. Klappe zu, Klappe auf. Klappe zu, Klappe auf. Hypnotisch, monoton, einschüchternd. „Soll uns bestimmt mürbe machen“, denke ich. Einige hat es mürbe gemacht, wie ich hinterher erfahre. Ich blende das monotone metallische Klacken aus und nutze es eher dazu, zu erahnen, wann der klackernde Entführer auf meiner Höhe ist. Und immer, wenn er an mir vorbei ist, lasse ich meine Arme in eine etwas entspanntere Haltung sinken – bis irgendwer sie wieder korrigiert; dasselbe bekannte Spiel.

Der Colonel

Gespenstisch: Bis hierhin ging alles in völliger Stille vor sich, das heißt keiner der Geiselnehmer sagte auch nur ein Wort über das gelegentliche „Shut up!“ hinaus. Untereinander verständigten sie sich wohl ausschließlich non-verbal. Erstaunlich, wie das geht! Profis eben.

Der Body Check scheint auch mit den anderen Gefangenen vollzogen zu werden. Jedenfalls dauert es eine Weile, bis etwas Neues passiert. Dann passiert es. Eine laute, sehr selbstbewusste Stimme ertönt: „Hello dear guests, I am Colonel Abu Sahir, Chief of the National Military Intelligence Service. I welcome you to my premises. I have some questions for you so keep enjoying your stay.“ Aha, wir kommen der Sache näher.

Er fährt fort: „Take off the sacks from your head now!“ Na, das höre ich gerne. Ich reiße mir den Sack runter und sehe das erste Mal, wo ich mich befinde. Alle anderen Teilnehmer sind auch da und leben. Ein lang gestreckter Kellergang, die anderen links und rechts neben mir. Dann weitere Anweisungen: „You find orange overalls next to your feet. Put them on. Now!“ Ok, ich nehme den Overall hoch und steige hinein. Einer raunt neben mir: „Das ist ja wie Guantanamo.“ Leicht deprimierender Gedanke.

Es ist nicht ganz einfach, mit Schuhen an den Füßen einen Overall anzuziehen. Ich schaue mich verstohlen um. Wir sind alle vollzählig. „Jalla“, schreit der Oberst. „Now turn the sacks back on.“ Mir war in der Sommerhitze vorher schon gut warm. Jetzt unter dem Overall beginnt der Schweiß in Strömen zu fließen. Und nun sollen wir auch wieder den Scheiß-Sack (Excuse my French!) über den Kopf stülpen? Nicht schon wieder. Aber ich ziehe mir den Sandsack über – diesmal jedoch so, dass meine Haare aus dem Weg sind. Eine kleine Erleichterung immerhin.

„We will have enough time to speak to each other. No worries. For now I will hand you over to my special friend Fedorov.“

Gospodin Fedorov

Wer auch immer das ist, Fedorov fängt jetzt ganz rechts in der Reihe der Geiseln an, den ersten Gefangenen zu fragen: „What’s your name?“ „Holger“, höre ich. „Wrong! You are number 1. Say again, what’s your name?“ „Number 1“, antwortet Holger zerknirscht. „Sir!“, schreit er. „Number 1, Sir“, sagt Holger, hörbar unglücklich. Aha, Depersonalisierung und Machtausübung, denke ich. Das lässt mich eher kalt.

Meine Kollegen werden einer nach dem anderen in ihre Nummern eingewiesen. Einige sagten bei der Nachbesprechung, dass ihnen quasi der Raub der eigenen Persönlichkeit schwer aufgestoßen sei. Wenn man kein Mensch mehr, sondern nur noch eine Nummer ist. Dann bin ich dran. Ich sage: „I am No. 6, Sir!“ Scheint anzukommen, denn Fedorov lässt mich in Ruhe. Immerhin weiß ich jetzt definitiv, es sind alle aus meiner Gruppe da – und auch noch alle mitten in der Übung dabei.

Dann lautes Schreien auf Arabisch oder einer ähnlichen Sprache. Mir ist schnell klar, das kommt von einem Tonband. Da ich kein Wort verstehe, kann ich die gebrüllte Tirade gut ausblenden. Ich singe im Geist wieder mein Liedchen. Mir ist nur so heiß! Auch wird das Stehen auf einem Fleck in verschiedenen, aber alle gleich unbequemen Positionen nach und nach anstrengend. Jetzt weiß ich wenigstens, wie Zermürbung funktioniert, wenn sie denn funktioniert.

Alles zieht sich. Endlos. Die Zeit vergeht zäh wie Kaugummi. Dann wieder sehr plötzlich, tritt eine Wache zu mir, nimmt mich mit geübtem Griff in den Schwitzkatzen und stößt mich voran. Was jetzt wohl kommt?

H.E.A.T. Akademie im Internet

++ Fortsetzung folgt ++

WIEBKE KÖHLER

ist seit über zwanzig Jahren Top Management Strategieberaterin; auch ist sie Gründerin, Key Note Speakerin und mehrfache Buchautorin. Sie arbeitete während ihrer beruflichen Laufbahn in den Top Management Beratungen bei Roland Berger und McKinsey & Co. Als Partnerin im Executive Search begleitete sie internationale, globale Konzerne bei der Besetzung von Vorstandspositionen und bekleidete zuletzt die Position als Personalvorstand bei der AXA Konzern AG in Deutschland. Sie ist CEO der Top Management Beratung impactWunder und unterstützt Konzerne in strategischen Fragen des Marketings und im HR, vor allem rund um Kultur, Werte- und Machtwandel und bei der Führungskräfteentwicklung. Sie engagiert sich ehrenamtlich für eine bessere Vernetzung von Bundeswehr und ziviler Gesellschaft und hat dazu bisher zahlreiche Artikel und zwei Bücher („Führen im Grenzbereich“ und „Besuch bei der Truppe – Menschen in Uniform“) veröffentlicht.

WIEBKE KÖHLER im Internet

HEAT TRAINING auf SPARTANAT

– BEFREIT AUS GEISELHAFT (1): Entführung

– BEFREIT AUS GEISELHAFT (2): Gefangenschaft

– BEFREIT AUS GEISELHAFT (3): Befreiung