Manchmal passiert die Weltgeschichte fast vor unserer Haustür. Aber wir von SPARTANAT waren nicht eingeladen. Bei einem Treffen in Wien, am 30. Oktober 2015, sind China, Ägypten, die EU, Frankreich, Deutschland, der Iran, der Irak, Italien, Jordanien, der Libanon, der Oman, Katar, Russland, Saudi-Arabien, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, das Vereinigte Königreich und die USA übereingekommen, etwas für den Frieden in Syrien unternehmen. Dazu haben diese Mächte einen neun Punkte umfassenden Plan unterzeichnet, den wir uns heute genauer anschauen wollen.

Punkt eins deklariert: „Die Einheit, Unabhängigkeit, territoriale Integrität und der weltliche Charakter Syriens sind von grundlegender Bedeutung.“ – Die ersten drei Begriffe sind leicht verständlich, sie bedeuten, dass Syrien als Staat erhalten bleiben soll. Spannend wird es bei der Bezeichnung „weltlicher Charakter“, denn das meint einen sekularen, nicht religiösen Staat, in dem also Religion keine bestimmende Rolle spielt. Angesichts dessen, dass der Krieg in Syrien teilweise längst ein Religionskrieg ist, ist diese Formulierung Öl ins Feuer des Bürgerkriegs. Denn nicht nur der terroristische Islamische Staat, sondern auch viele Fraktionen der Rebellen wünschen sich einen Staat, der vom islamischen Recht geprägt ist. Spannend ist auch, dass es im gegenwärtigen Syrien keinen Platz für Demokratie gibt. Das ist auch ein „Erfolg“ des russischen Engagement in der Region, das sich immer auch gegen die vom Westen unterstützen „prowestlichen“ Kräfte im Land gerichtet hat.

Ganz wesentlich ist aber, dass das eine Bestandsgarantie für einen syrischen Staat ist. Im Zuge des Zerfalls des Iraks und der Ausweitung des Konflikts nach Syrien gab es jene Diskussionen, die meinen, die Landkarte des Nahen Ostens würde sich gerade neu schreiben. Das schien realistisch vor dem Engagement Russlands, dem wird jetzt ein Riegel vorgeschoben.

In die gleiche Richtung geht auch Punkt 2 der Wiener Erklärung: „Die Institutionen des Staates werden intakt bleiben.“ Auch das richtet sich gegen den Irak als Muster des Staatszerfalls. Spannend ist aber auch die Fortschreibung der Institutionen des Staates, denn das kann nur der jetzige syrische Staat sein, von dessen Institutionen hier die Rede ist.

Punkt drei erklärt, dass „die Rechte aller Syrer, egal welcher Ethnie oder Religion, geschützt werden müssen“. Das ist schön und gut, aber es steht in deutlichem Konflikt zu Punkt 1 der Erklärung, wo ein sekulärer Staat gefordert wird. Es übergeht die sozialen und ethnischen Spannungen im Land, vor allem aber, dass religiöse Extremisten im Land vor allem eines bekämpfen, die Ideologie des entschlossen laizistischen Herrschers in heutigen Syrien. Dieser Punkt ist die Quelle intensiver künftiger Konflikte, bzw. deren Fortschreibung.

Punkt vier ist eine Absichtserklärung: „Es ist unbedingt notwendig, die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges zu beschleunigen.“ Eigentlich nur deswegen spannend, weil man diese Erklärung als eine direkte Folge der russischen Intervention interpretieren könnte. Vorher war das nicht möglich …

Punkt 5, meinen Kritiker, sollte eigentlich Punkt 1 sein: „Im gesamten Staatsgebiet Syriens soll humanitärer Zugang gewährleistet werden, und die Teilnehmer werden ihre Unterstützung für Vertriebene, Flüchtlinge und deren Gastländer verstärken.“ Spannend ist die Formulierung „im gesamten Staatsgebiet Syriens“. Heißt das: „bei allen Konfliktparteien“? Auch bei der al Nusra Front und beim Islamischen Staat? Oder auf dem Gebiet des offiziellen Staates? Gleichzeitig wollen alle 19 Unterzeichner helfen …

Der Islamische Staat und alle anderen von der UNO als Terrororganisationen geführten Konfliktparteien in Syrien sollen weiter bekämpft werden.

Ganz etwas Wichtiges versteckt sich auch hinter Punkt Nummer 6: „Daesch und andere vom UNO-Sicherheitsrat und den Teilnehmern identifizierte Terrorgruppen müssen besiegt werden.“ Die 19 Unterzeichner verweigern dem „Islamischen Staat“ seinen Eigennamen als Bezeichung und greifen auf den „Schimpfnamen“ Daesch zurück. Damit weigern sie sich deutlich, deren Legitimität anzuerkennen. Eine nicht unspannende Antwort, wenn man den IS auch als neuen sunnitischen Staat im Nahen Osten sehen kann, der auch außerhalb des Konfliktgebietes seine (heimlichen) Unterstützer hat.

Die restlichen drei Punkte befassen sich damit, dass der Konflikt mit einem Waffenstillstand beendet werden soll, um dann (freie) Wahlen in Syrien unter UNO Kontrolle stattfinden zu lassen. Punkt 8 steht ein bisschen im Wiederspruch zum Sinn der Tagung in Wien: „Der politische Prozess wird von Syrern und durch Syrer geführt, und das syrische Volk wird die Zukunft Syriens bestimmen.“ Nicht unpikant, wenn man den syrischen Bürgerkrieg als Erhebung von Teilen des syrischen Volkes gegen den syrischen Herrscher sieht.

Beobachter meinen, das bedeute, dass alle islamistisch inspirierten Gruppierungen bekämpft werden, bis dann das von den Russen gestützte Assad Regime mit den vom Westen unterstützen „weltlichen“ Rebellen einen Waffenstillstand schließen kann. Und dann könnte ein friedlicher Wandel eingeleitet werden. Das wäre zuerst vermutlich eine Staus-quo-Lösung, ähnlich wie zwischen Ukraine und separatistischer Donezker Volksrepublik. In einer folgenden demokratischen Wahl könnte die Integrität eines sich verändernden syrischen Staates bewahrt werden. Das sind doch viele Konjunktive, die zur Beschreibung des Ablaufes notwendig sind. Klar ist allerdings nur: Bis dahin wird in Syrien noch viel Blut fließen …