Manchmal gibt es Bücher über die man sehr zufällig stolpert: „Roman“ und „Tschetschnienkrieg“ waren die Stichworte, weswegen wir uns das Buch gegriffen haben, dann ist es lange gelegen und heuer im Sommer sind wir endlich dazu gekommen, es zu lesen. Der russische Autor lebt heute in Italien und arbeitet als Tätowierer. Zwei Bücher gibt es von ihm. „Sibirische Erziehung“ beschreibt seine schwer kriminelle Jugend und wurde mit John Malkovich in der Hauptrolle 2012 verfilmt (HIER der Trailer auf YouTube). „Freier Fall“ gibt angeblich die Kriegserfahrung Lilins im Zweiten Tschetschenienkrieg (1999 bis 2009) wieder.

Nun ist Literatur keine Dokumentation. Lilin schriebt aber zu militärische faktendicht um reine Literatur zu sein. Mit 18 wird er eingezogen. Weil er ein verurteilter Krimineller ist, kommt er – zu einer Spezialeinheit. Im ganzen Buch wird nicht der Name dieser Einheit genannt. Sie werden fast durchgehend in der Nacht ausgebildet, werden im Krieg an Schwerpunkten eingesetzt, müssen sich nicht korrekt uniformieren oder operieren auch in Zivilkleidern. Die Spur die Lilin legt, ist, dass einem gefallenen Feind ein Stück Haut in Fledermausform herausgeschnitten wird. Wenn das hässlicherweise korrekt ist, war er zwei Jahre mit GRU Spetsnaz im Kaukasuskrieg.

Suhrkamp ist als Verlag normalerweise eher bekannt für „hochwertige“, echte Literatur. Klassische Leser werden am „Freien Fall“ vielleicht verzweifeln, denn Lilin ist ein sehr akribischer Beschreiber des Kriegshandwerkes, der Waffen, seiner Erlebnisse im Gefecht. Kritik am Tun und Treiben findet man wenig, eher Hinnahme, am Ende kämpft Lilin mit seine Erlebnissen und Traumatas. Davor allerdings kämpft er und will überleben. Das ganze ließt sich extrem spannend. Das Mitleid mit der regulären russischen Infanterie, die Erzählungen von den internationalen Islamisten, die den Russen gegenüber stehen. Und Gefechtsschilderungen, detaillierte Szenen von urbanen Kämpfen, schnelle Gefechte im Wald, Hinterhalte, Hausdurchsuchungen, Jagdkampf. Lilin ist Scharfschütze, arbeitet mit VSS Vintorez oder AS Val eher auf kurze Distanzen und für „normal“ ist seine Kalashnikow als Zweitwaffe dabei. Wodka fehlt nicht, manchmal werden keine Gefangenen gemacht und es sei normal (aber verboten) das „Denkmal“ zu machen, erfahren Leser: Gefangene, die getötet und mit Einheitsmarkierung und Schmähsprüchen drapiert werden … Kriegsverbrechen.

Freier Fall ist ein sehr hartes Buch, so wie der Krieg in Tschetschenien ein schmutziger Krieg war. Außer den direkten Einblicken, die Lilin gibt, lässt er euch mit den Wertungen der Ereignisse allein. HIER gibt es ein Interview mit dem Autor zu seinen beiden Büchern. 

Freier Fall (suhrkamp taschenbuch)“ von Nicolai Lilin, Frankfurt/M. 2011, Suhrkamp Verlag, 400 Seiten, Euro 14,19 (Kindle Edition: 12,99). 

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