Je weiter sich die sogenannte „Zivilgesellschaft“ zurückzieht, desto weiter vorne stehen professionelle Helfer im Einsatz bei der Großen Wanderung: Polizei, Bundesheer, Rotes Kreuz. Die Verlegung der ungarischen Route nach Deutschland hat dazu geführt, dass der steirische Grenzübergang Spielfeld zum Brennpunkt der Entwicklungen wurde. Polizei und Heer haben vor allem in den ersten Tagen der schnellen Zunahme der passierenden Flüchtlinge und Migranten ein unübersichtliches Chaos zu bewältigen, das immer wieder außer Kontrolle gerät. SPARTANAT bringt heute einen persönlichen Erlebnisbericht vom Einsatz an der Grenze.

Wir sind Soldaten, weder Gelände noch Witterung halten uns von der Auftragserfüllung ab, wir beherrschen unsere Ausrüstung im Schlaf – auch, bzw. erst recht bei Gefahr. Das ist unser Beruf. Hochwasser, Mure, Lawine – kein Problem. BiH, Kosovo, Syrien – im Auftrag Österreichs. Sicherheitspolizeilicher Assistenzeinsatz – 20 Monate in allen Ecken des Burgenlandes. Der Arbeitsplatz bedroht – im Sommer noch der öffentlichen Häme ausgeliefert, für obsolet erklärt und dem Ausverkauf preisgegeben.

Darauf sind wir nicht vorbereitet.

Herbstabend – die Luft ist feucht und schon beachtlich frisch – leichter Nebel hängt in den Baumwipfeln. Spielfeld /Steiermark – die letzte Erinnerung an diesen Ort, Jugoslawienkrise: Jagdpanzer K gehen links und rechts der Zubringerstraße in Stellung, vor 24 Jahren.

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Auftrag: Unkontrolliertes Einfließen der HSF durch die vorbereiteten Anhalteräume durch Bildung von transportablen Gruppengrößen verhindern. Erstkontakt. Die Stimmen, die Rufe, die verzweifelten Schreie verschmelzen zu einer ständig präsenten Lärmkulisse. In der Masse der Menschen vor mir kann man kaum Einzelne wahrnehmen, im unwirklichen Licht der Scheinwerfer wogen unzählige Gesichter hin und her. Die meisten hatten wohl schon länger als eine Woche keine Gelegenheit sich zu waschen. Sie sind am Ende. Angst, Verzweiflung, Wut in ihren Gesichtern.

Zurück in die „Sperrkette“! Lücke schließen. Fäusten ausweichend – die Beschimpfungen gottseidank in fremder Sprache – steigt die Sinnfrage hoch.

Ein Schlag auf den Oberarm – ein Rempler von vorn – Bildriß. Ein weinendes, schreiendes Kind unter dem Arm eines wild gestikulierenden Mitdreißigers, wie ein Gepäckstück. Der Mann widersetzt sich allen Anweisungen stehen zu bleiben und schiebt den einschreitenden Militärpolizisten zur Seite, zieht Weitere nach sich, die von einem scheinbar endlosen Strom gefolgt werden. Zurück in die „Sperrkette“! Lücke schließen. Fäusten ausweichend – die Beschimpfungen gottseidank in fremder Sprache – steigt die Sinnfrage hoch. Was mach ich hier?

Zu Hause brüsten sich die „Anderen“ damit „Refugees welcome“-Aktivisten zu sein, öffentlich gelobte Schlepper und Schleuser. Paradox.

Schlag auf die Brust, Geschrei von hinten. Die Situation wird unübersichtlich, die Stimmung der Ungeduldigen kippt. Zehn Meter vor uns – eine schier unerreichbare Distanz inmitten der dicht an dicht wogenden Menschenmasse – ein Tumult, jemand ist zu Sturz gekommen, die drängelnde Menge über die Unglücklichen getrampelt. Helfen! Helfen? Die Undiszipliniertheit Einzelner, deren Drang zu Helfen die Kette nun erneut zusammenbrechen lässt spült die Frage wieder und wieder hoch: Wozu sind wir hier?

Klar, würden wir nicht für eine Verlangsamung des Ansturmes sorgen, käme es spätestens bei den Bussen zu Mord und Totschlag. Die offene Aggressivität ist erschreckend, schon eine Schere oder Scherbe würde hier eine unglaubliche Gefahr für die völlig ungeschützten Soldaten in der ersten Reihe bedeuten, die stundenlang Körperkontakt mit völlig Rücksichtslosen aushalten müssen. Blick auf die Uhr. Noch vier Stunden! Der Lärmpegel steigt, die Lautsprecherstimme überschlägt sich förmlich. Als hätten alle nur auf diesen Moment gewartet, kommt es an allen Stellen zum Durchbruch, der jetzt völlig enthemmten Menge. Ohne jede Rücksicht auf die vor ihnen Stehenden, bahnt sich nun das Recht des Stärkeren einen Weg über die zuvor an den Zaun gebrachten Schwachen, Alten, Kranken, Frauen und Kinder, über die unzureichende Abzäunung und bringen diese schließlich zum Einsturz. Verbindung halten! Wo sind die Anderen? Mitgerissen im Strom der Hundertschaften.

Der „Schutz“ – eine Warnweste. Schutzausrüstung für den Ordnungseinsatz wirke aggressiv und sei deshalb zu vermeiden, wirksame Sperrmaßnahmen seien ein antieuropäisches Symbol – also Kopf hinhalten (helmlos).

Die noch anwesenden Polizisten raten uns schleunigst den Platz zu räumen, für unsere Sicherheit könne hier niemand mehr garantieren. Können wir das nicht selbst? Der „Schutz“ – eine Warnweste. Schutzausrüstung für den Ordnungseinsatz wirke aggressiv und sei deshalb zu vermeiden, wirksame Sperrmaßnahmen seien ein antieuropäisches Symbol – also Kopf hinhalten (helmlos). Die Stampede vorüber, nur mehr Nachzügler, Unentschlossene, Zurückgelassene, Versprengte, Verletzte – kein Auftrag zum Rückzug. Sammelräume aufsuchen.

Müde, kalt – Halsschmerzen vom Ruf zur Ordnung. Vollzählig? Vollzählig. Ab nach vorn. Bundesheersanitäter leisten erste Hilfe, die RK-Helfer rücken auch wieder nach vorne. Was für ein Bild! Weitermachen, die Nächsten 1.000, 2.000,oder 3.000, oder … fluten schon wieder den Anhalteraum. 27 Stunden-Tag, Lageinfo? Fehlanzeige. Kurzes Gespräch mit den slowenischen Soldaten direkt an der Staatsgrenze, Kopfschütteln – no comment. Sechs Tage Dienst, zwei Tage Off. Im Bus nach Graz kommt es spontan zum Gedankenaustausch, psychologische Ersthilfe sozusagen. Ein Soldat, der ebenfalls hier eingesetzten 25er erzählt von seinen Erlebnissen am Grenzübergang Nickelsdorf, wo versucht wurde mit 500 EUR-Scheinen Busplätze zu kaufen bzw. die Routen zu erweitern. Der Schlaf unterbricht den Gedankenaustausch noch im Bus. Neun Stunden bis zum neuerlichen Einsatz als Bereitschaft. Duschen – Facebook – Telefon – Gute Nacht.

Fotos: ÖBH

Video: Esterreicher/Youtube. Die angespannte Situation in Spielfeld am Abend des 29. Oktober 2015