Unser Kollegen von US Special Forces Netzwerk SOFREP hatten die Gelegenheit mit einem Freund zu sprechen, der gerade aus der Ukraine zurückgekehrt ist. Dort ist ist das Chaos groß und in der Wirrnis am Gefechtsfeld sehr schwierig zu erkennen, was wirklich passiert. Wirft man dazu noch die Kriegspropaganda beider Seiten in den Pot, wird es vollends unmöglich zu beurteilen, was vor Ort Realität ist. Dankenswerterweise hatten unsere Kollegen mit ihrem Interviewpartner einen unbeteiligten Dritten vor sich, der aber in der Ukrainen zu tun hatte, um herauszufinden, was passiert. Hier das Interview:

Welche Größe, Stärke und Aufgabe haben die russischen militärischen und irregulären Kräfte in der Ukraine?

Ungefähr 5.000 bis 7.000 reguläre russische Soldaten (Artillerieeinheiten, Panzer, BMPs/BTRs, Lastwagen, Nachschub, VDV…), etwa 300 Spezialkräfte, wobei „Spetsnaz“ eine recht umfangreiche Bezeichnung ist und sich die Rolle der Alpha Leute in ziviler Kleidung komplett von der der ehemaligen „Sokol“ Spezialkräften von der Krim unterscheidet, die als Berater fungieren.

Die Irregulären umfassen ungefähr 20,000 Mann, inklusive einheimischer Ukrainer, internationaler Freiwilliger, russischer Freiwilliger (darunter jede Menge Neonazis aus Moskau und Sankt Petersburg) und Söldner aus Tschetschenien und Dagestan.

Aus Deiner Sicht, wie schätzt Kiew die militärischen und politischen Ziele der Russen in der Ukraine ein?

Die Regierung in Kiew ist noch immer dabei auf alle Veränderungen und Taktiken, die das russische Militär und der Geheimdienst anwenden, zu reagieren. So bald sie nahe genug an einem Sieg sind (wie etwa in Donezk und Lugansk – bevor die „humanitäre Hilfe“ angekommen ist) öffnet sich eine neue Front. Die neueste Front ist die Offensive gegen Mariupol und die Gefahr eines Landkorridors von Russland zur Krim.

Nach meiner Meinung wollen die Ukrainer noch immer nicht glauben, dass Russland bis nach Odessa vorstoßen will und sie versuchen permanent ein Minimum zu erreichen, um zu einer Übereinkunft zu kommen. Der Generalstab des ukrainischen Militärs ist voll mit ehemaligen Sowjetoffizieren. Viele von ihnen haben enge familiäre und wirtschaftliche Bande mit Russland und seinem militärisch-industriellen Komplex. Daher ist ihre Wahrnehmung der Intentionen Rußlands sehr voreingenommen.

Was hat das US State Department mit der Poroschenko Regierung zur Zeit zu schaffen?

Das State Department versucht in der gegenwärtigen Situation die größtmögliche Distanz zu halten. Es gibt nur sehr wenig Unterstützung und wenn, dann kommt sie über das polnische Verteidigungsministerium.

Sind dir viele ausländische Agenten oder andere Verdächtige in der Ukraine begegnet?

Jede Menge Journalisten, aber sehr wenige Ausländer, die versuchen die richtigen Leute zu treffen um Informationen zu erhalten. Ich konnte mich mit der Vereinigung der ehemaligen ukrainischen SOF Veteranen treffen, und sie haben mir erzählt, dass ich der erste Ausländer war, der sich mit ihnen getroffen hat um über den Krieg zu reden. Das ist verrückt, gerade weil die meisten von ihnen mit den Russen in Afghanistan gedient haben und sie sind über Social Media noch immer miteinander in Kontakt, trotz des fortschreitenden Kriegs.

Und endlos viele Russen … wirklich endlos viele, überall. Sie erzählen jedem, dass sie Ukrainer sind, aber dass sie Familie im Ausland haben.

Was glaubst Du sind die Ziele des russischen Militärs in der Ukraine? Wollen sie letztendlich Kiew umgehen und einschließen oder einfach nur Waffen und Söldner in das Land pumpen, um die Region zu destabilisieren?

Vielleicht beides … Der „Aufstand“ am Donbass wurde gestartet, um die Ukraine die Krim vergessen zu lassen und sich um größere Probleme Sorgen machen zu müssen. Aber ihre militärische Industrie, die Kohleminen und der Zugang zum Asowschen Meer und die damit verbundenen Rechte zur Gasförderung sind zu wichtig um sie einfach abzugeben.

Der Kreml denkt wohl, dass es eine große Chance wäre, „ein freundliches neues Land“ von Transnistrien bis Donezk einzurichten. Sie müssen das jetzige Szenario nur bis zum Winter aufrecht halten.

Wie ist die Moral der ukrainischen Truppen? Welche Hilfe aus dem Westen erhalten sie?

Die Moral beim Militär ist sehr niedrig. Manche ihrer Einheiten waren eingeschlossen ohne Nachschub (Wasser, Nahrung, Munition, Benzin …) über Wochen, während sie von der russischen Artillerie angegriffen wurden. Einige Einheiten wurden komplett ausgelöscht. Freiwilligenbatallione sind selbständig, aber die Spannungen mit dem ukrainischen Militär liegen offen zu Tage. Sie meinen, dass sie im Kampf am meisten exponiert sind, aber keine Unterstützung durch Panzer und Artillerie erhalten.

Nur wenige helfen. Das meiste an moderner, westlicher Ausrüstung und Waffen war in der Ukraine vor dem Maidan, das neueste Material wird „crowdfunded“ oder von Freiwilligen hergestellt (inklusive Drohnen). Die Rüstungsindustrie der Ukraine braucht Hilfe, um wieder arbeiten zu können. Als die Krim übernommen wurde, haben 13 der modernsten Fabriken den Besitzer gewechselt. Sieben in Lugansk, fünf in Donezk.

Einige Länder mit alter sowjetischer Ausrüstung senden Ersatzteile für SU-25, AN-26, T-72 … aber das ist sehr wenig. Kroatien wird weitere Helikopter senden, so wie Ungarn (über eine tschechische Firma) alte T-72 geliefert hat, damit die Ukrainer sie aufrüsten können.

Konntest du mit Leuten reden und Informationen von der Front einsammeln?

Ja, vom Donbass, Aidar und Kiew Bataillon, 95. Luftlandebrigade und eine Spezialkräfteeinheit der SBU (Sluschba bespeky Ukrajiny/Inlandsgeheimdienst). Ein unglaublicher Mix an Charakteren, von über 40-jährigen Veteranen mit Erfahrungen in russischen Einheiten in Tschetschenien hin zu 19-jährigen, die als SIGINT Spezialisten arbeiten und die Zello (Anm.: eine Walkie-Talkie-App) nutzen und Informationen über VKontakte gewinnen.

Welche Rolle spielt Social Media im Konflikt? Ist das Internet weg oder sind nur gewisse Dienste manchmal off-line?

Eine brutale Rolle. Der Kreml hat eine riesige Propagandamaschine, die rund um die Uhr läuft, Tonnen an Twitter bots … Gerüchte tauchen auf und zerschlagen sich im Minutentakt, zum Bespiel dass einige neue Geschütze aus einem ukrainischen Depot gestohlen seien worden … und plötzlich taucht das selbe System (das auch die Russen verwenden) auf und überquert die Grenze, aber ohne Hoheitsabzeichen.

Kommunikation ist eigentlich quer durch das ganze Land möglich, aber es gibt keine sicheren Leitungen. Russische ELINT/EW (Elektronische Aufklärung/Kampfführung) Einheiten (besonders der VDV/Fallschirmjäger) tauchen entlang und über der Grenze auf um jede Kommunikation im Vorfeld von Angriffen zu unterbrechen. Es ist wie ein Aufstand mit Drohnen und besserer Artillerie und dazu nachrichtendienstliche Informationsgewinnung (SIGINT), die dann die regulären Truppen ausnutzen.

JACK MURPHY  hat in der 5th Special Forces Group gedient und war unter anderem im Irak und in Afghanistan im Einsatz. Seit er 2010 die Armee verlassen hat, studiert er an der Columbia University Politikwissenschaft. Jack Murphy ist Managing Editor bei SOFREP.COM.