Österreich ist ein kleines Land. Sein Heeresgeschichtliches Museum (HGM) birgt aber große Geschichte. Als Doppelmonarchie hat Österrich-Ungarn bis 1918 über Jahrhunderte des europäische Schicksal wesentlich mitgeprägt, davon erzählt auch das HGM Wien. Wir haben Museumsdirektor Ortner getroffen und mit ihm über die Neugestaltung des Bereichs Erster Weltkrieg, die aktuelle Bedeutung von Militärgeschichte und seine Beziehung zu den Exponaten seines Hauses gesprochen.

SPARTANAT: Herr Direktor, in ihrem Haus ist der Erste Weltkrieg historisch gesehen zu Hause. Wenn sie einem Besucher in 5 Sätzen – oder so kurz wie möglich – erklären müssten, was der Erste Weltkrieg war, was würden sie sagen?

Christian Ortner: Er ist der erste der beiden großen Weltkriege des 20. Jahrhunderts und ist sicherlich eine Zäsur. Ich würde ihn nicht als die Urkatastrophe bezeichnen. Aber es ist ein Krieg, der politisch, militärisch und technisch alles ändert. Er revolutioniert das Kriegsbild. Wir haben am Ende eine weitgehende Demokratisierung und vier Kaiserreiche, die zerbrechen, und es werden neue Grenzen gezogen.

HGM_2SPARTANAT: Der Bereich Erster Weltkrieg wurde extra für das Jubiläumsjahr neue gestaltet. Dürfen Sie vorab ein klein bisschen verraten, was die Besucher Ihres Hauses da erwarten wird?

Christian Ortner: Wir haben uns im HGM mit der Thematik sehr intensiv auseinandergesetzt. Die Frage war, wie die Konzeption erstellt, welche Gliederung verwendet werden sollte bei der Neugestaltung? Nicht zuletzt wegen der Erfahrungen, die wir mit unserem Publikum haben und aufgrund von Befragungen haben wir uns für eine chronologische Darstellung entschlossen. Wir zeigen also wie der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 verlief. Dabei zeigen wir natürlich auch Querschnittsthemen – wie etwa „Gebirgskrieg“ oder „Verwundung und Tod“. Diese Themen hängen jeweils an einem Jahr in der chronologischen Darstellung. Ganz intensiv haben wir uns mit der Museumspädagogik auseinandergesetzt, besonders mit der Frage „szenische Darstellung, ja oder nein“? Wir haben uns dann gegen szenische Darstellungen entschieden um nicht eine Art „Military Disneyland“ zu konstruieren. Das Thema Krieg ist zu sensibel, um mit Installationen einen falschen Eindruck zu erwecken. Obendrein ist das Heeresgeschichtliche ein Museum, das mit Originalobjekten arbeiten kann. Man sollte die Aura des Originalen atmen und wirken lassen. Das ist uns sehr wichtig, weswegen wir eine sehr nüchterne, weitgehend hinter das Objekt zurücktretende Didaktik gewählt haben. Die Objekte bleiben im Vordergrund.

Man muss sich mit Kriegen auch museal beschäftigen. Man sollte Kriege nicht nur der Politik und Hollywood überlassen, sondern sich damit wissenschaftlich und sehr kritisch auseinandersetzen.

SPARTANAT: Das HGM bewahrt einen wesentlichen Anteil der österreichischen Geschichte auf. Militärgeschichte war allerdings lange Zeit nicht sehr modern. Ändert sich das? Warum findet das HGM immer mehr Zuspruch?

Christian Ortner: Wir dürfen nicht vergessen, dass die Militärgeschichte früher eine reine Operationsgeschichte war. Armeen, Divisionen, Brigaden wurden verschoben und de facto war nur ein Spezialist, in der Lage das nachzuvollziehen, wenn er neben sich eine Karte liegen hatte. Militärgeschichte hat heute – und da gefällt mir persönlich der britische Ansatz sehr gut – einen viel breiteren Ansatz: Warum brechen überhaupt Kriege aus? Ohne Politik gibt es keinen Krieg. Obendrein gibt es eine militärische Sozialgeschichte. Es gibt eben nicht nur die Feldherren, sondern auch einen Mittelbau und die unterste Erzählebene, die zu berücksichtigen sind. Weiters einen unglaublich breiten Bereich an Technik- und Waffenentwicklung, bis hin zu Artillerie und Gaskrieg. Letztendlich hat der Krieg eine sehr starke wirtschaftliche Geschichte, die gerne vergessen wird. 1916 etwa ist Großbritannien Pleite, müsste aus dem Krieg ausscheiden, weil es ihn nicht mehr finanzieren kann. Das alles zusammen ist heute die moderne Militärgeschichte und ist entsprechend spannend. Es zu verstehen ist aber bedeutend schwierig, weil man eben nicht nur eine Armee kennen muss, sondern es braucht technisches Verständnis: Was ist ein Maschinengewehr? Wie schwer ist es? Wie weit schießt es bei welcher Feuerfolge? Und man muss die Hierarchien kennen, die Protagonisten, die Technik, und die Wirtschaft. Man muss also eigentlich mehr Experte sein als in anderen Bereichen.

SPARTANAT: „Kriege gehören ins Museum“ ist der pointierte Slogan des HGM. Glauben Sie, dass das für die heutige Zeit wirklich stimmt?

Christian Ortner: Das ist ein Anspruch. Man muss sich mit Kriegen auch museal beschäftigen. Man sollte Kriege nicht nur der Politik und Hollywood überlassen, sondern sich damit wissenschaftlich und sehr kritisch auseinandersetzen. Wenn sie so wollen, gibt es der Thematik einen wertfreien Raum zur Auseinandersetzung. Wir wollen unsere Ausstellungen auch bewusst möglichst objektiv halten, weil die Thematik emotional doch sehr hoch besetzt ist.

HGM_3SPARTANAT: Und sie haben keine Angst, dass keine neuen Exponate nachgeliefert werden?

Christian Ortner: Nicht nur in dieser Hinsicht. Das ist vielleicht eine böse Bemerkung, aber wenn eine Armee sich neu strukturiert oder kleiner wird, sieht der Museumsdirektor das meistens mit einem lachenden Auge, denn wo gehen die meisten Sachen hin?

SPARTANAT: Und um wieder zum Ersten Weltkrieg zurückzukehren: Im HGM sind der Wagen mit den Einschusslöchern und die blutige Unform des Thronfolgers zu sehen, der beim Attentat in Sarajevo gestorben ist, welches den Krieg ausgelöst hat. Wie oft kommen sie daran vorbei? Was denken Sie sich da?

HGM_4Christian Ortner: Das ist sicher die Objektgruppe, die sehr stark emotionalisiert. Nicht im Sinne einer Bewertung des Attentats in die eine oder andere Richtung, sondern man merkt, dass das Gegenstände sind, die Geschichte geradezu atmen. Ich bin fast jeden Tag einmal im Museum und gehe durch und komme dort vorbei. Das hat schon einen ganz besonderen Nimbus, dessen ich mich selbst kaum erwehren kann. Und auch fast jeder andere, der das HGM besucht, merkt, dass an diese Objekten Schicksale hängen – nicht nur die der zwei Ermordeten, sondern in der Folge von tausenden anderen auch.

HGM_ortnerCHRISTIAN ORTNER studierte Geschichte an der Universität Wien. 2005 promovierte er mit einer Dissertation über die österreichisch-ungarische Artillerie in den Jahren von 1867 bis 1918. Im Jahr 1995 trat er in das Heeresgeschichtliche Museum ein, mit Beginn 2004 wurde er Leiter der Museumsabteilung und damit für alle Sammlungen verantwortlich. Seit 1. September 2005 ist er Direktor des Museums. Ortner ist Oberst des höheren militärfachlichen Dienstes (dhmfD) im Österreichischen Bundesheer.

DAS HGM WIEN IM INTERNET: www.hgm.or.at